Montag, 11. November 2013

Der Beweis – Teil II


AUS DEM PARADIESE

„Gut und Böse sind die Vorurteile
Gottes“ –    Sprach die Schlang‘ und floh in Eile.
(Nietzsche)

Wenn ich mal mit Studenten in Kontakt komme, merke ich erst wie altmodisch ich bin. Ich besitze kein Smartphone, kein Navi, kein iPad.
Musik kaufe ich mir ausschließlich als CD und einen Film habe ich mir auch noch nie downgeloaded. Alle TV-Sendungen, die ich sehen will, zeichne ich auf VHS auf. Dadurch spare ich Zeit, weil ich bei jedem Werbeblock oder uninteressanten Talkshowgästen vorspule. Auch Sendungen wie „Extra Drei“ habe ich in Rekordzeit hinter mir, weil ich die nervigen Moderationen von Christian Ehring immer nur mit gedrückter „FF“-Taste mitbekomme. „Zappen“ ist nicht.
Für meine Konsumgewohnheiten brauche ich allerdings mindestens eine ausführliche TV-Programmzeitschrift, um immer rechtzeitig die interessanten Shows einprogrammieren zu können.
Leider gibt es keine für meine Zwecke „gute“ Fernsehzeitschrift.
Im Laufe meines lebens hatte ich schon so ziemlich alles einmal abonniert und jeweils mindestens einmal wutentbrannt gekündigt, wenn die rechtslastigen Bauer- oder Springer-Ansichten in den redaktionellen Teilen zu heftig durchschienen.
Den Einfluß soll man nicht unterschätzen! Die sogenannten „Premium-Programmzeitschriften“ haben gigantische Auflagen. Die Hörzu verkauft 1,2 Mio Exemplare und erreicht damit 4,7 Millionen Leser. Bauers „TV“ bringt es immerhin noch auf 700.000 verkaufte Exemplare.
Zum Vergleich die 14-Tägigen: TV MOVIE verkauft 1,3 Mio Hefte (Reichweite 6,4 Mio) und TV Spielfilm bringt eine Million Hefte unter die Leute (Reichweite 6,4 Mio). Davon träumen SPIEGEL und FOCUS. Bei TV14 sind es gar 2,3 Mio Exemplare (Reichweite 6,7 Mio) und auch TV-Digital schafft die 2-Millionen-Marke locker

Gegenwärtig habe ich (mal wieder) ein GONG-Abonnement.
Die kleine Gong-Verlagsgruppe assoziiert man immer mit „bayerisch“ und „katholisch“ und „bieder“.
Das stimmt sicherlich auch noch; allerdings gehört der Gong-Verlag heute zu 100% der Funke-Mediengruppe, also dem ehemaligen WAZ-Konzern.
 Mit einer wöchentlichen Auflage von 260.000 Exemplaren ist der GONG zwar kleiner als Hörzu und TV, aber er dürfte trotzdem eine Millionen Menschen erreichen.
Was in den „Artikeln“ oft so locker als Ratgeber daherkommt, stellt eine enorme Verbrauchermacht dar. Denn diese Zeitschriften liegen gewöhnlich rund um die Uhr im Wohnzimmer für die ganze Familie griffbereit.

In der neuesten GONG-Ausgabe (Heft 46, erschienen am 08.11.13) gibt es eine lange Titelgeschichte geschrieben vom frommen Michael Schwelien:

DIE RENAISSANCE DES GLAUBENS – Hat die Wissenschaft Gott entdeckt.


Ich wurde natürlich sofort hellhörig. Seit Jahrzehnten beschäftige ich mich mit dem Thema, lese fortwährend Bücher über kirchliche Zustände und verfolge die großen philosophisch-theologischen Fragen, wie das „Theodizee-Paradox“.

Gott zu „entdecken“, ihn also wissenschaftlich nachzuweisen, wäre in der Tat eine hochinteressante Angelegenheit, die gewaltige Mea-Culpa-Aktionen der Konfessionslosen und Atheisten erforderte.
Klar, es verwunderte mich ein wenig, daß diese Gottesbeweise zunächst vom Gong und nicht etwa Radio-Vatikan oder der EKD verbreitet werden, aber Gottes Wege sind bekanntlich unergründlich!

Leider gelingt es mir nicht heraus zu finden, ob der GONG-Michael-Schwelien derselbe Michael Schwelien ist, den man schon ewig von der ZEIT kennt und der spätestens seit seinem Buch „Das Boot ist voll“ (2004) eigenartigerweise nicht nur Fans hat.
Kann es sein, daß alternde und zunehmend verwirrte ZEIT-Autoren zum GONG wechseln?

Der GONG-Schwelien ist jedenfalls ein Wissenschaftler, der naturwissenschaftliche Laien wie Hawking oder Dawkins alt aussehen läßt:

„In allen drei Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik stoßen Forscher inzwischen an die Grenzen des bisher Vorstellbaren und stellen mit ihren Entdeckungen das bisherige Weltbild auf den Kopf. Ist am Ende das Unerklärliche der eigentliche Beweis Gottes?“
(M. Schwelien, GONG, 08.11.13, s.6)

Nun, zunächst einmal wird es Kosmologen, Meteorologen, Klimatologen, Geologen, Mineralogen, Meereskundler, Humanmediziner, Genetiker, Archäologen, Paläontologen, Zoologen, Botaniker, Mykologen, Virologen, Bakteriologen, Informatiker und Thermodynamiker natürlich enttäuschen zu hören, daß sie gar keine Naturwissenschaftler sind.
Ich selbst bin aber auch enttäuscht. Da habe ich lange Jahre eine der von Schwelien genannten Naturwissenschaften an der Uni Hamburg studiert und gar nicht gemerkt, daß damit die Existenz Gottes bewiesen werden sollte. Irrigerweise ging ich davon aus gerade als Naturwissenschaftler die Idee eines Schöpfers ad absurdum zu führen.

Im Gong wird zunächst einmal für Laien verständlich rekapituliert, welche naturwissenschaftlichen Hinweise es für Gottes Existenz schon gibt:

1.)  Das Higgs-Boson, welches Leon Lederman eigentlich „The Godamn Particle“ nennen wollte, wurde von seinem Verleger in „Gottesteilchen“ umbenannt und inzwischen bestätigt. Francois Englert und Peter Higgs bekommen dafür jetzt den Nobelpreis.
2.)  Ist das Universum selbst ist ein Hinweis auf Gottes Existenz, weil die vielen Galaxien über geladene Teilchen so miteinander verwoben sind, daß sie einem menschlichen Hirn ähneln.
3.)  Gottes Gegenwart sitzt im Hirn, also IN UNS. Man spürt überirdische Kräfte, wenn Neurochirurgen bestimmte Bereiche des vorderen Schläfenlappens stimulieren.
4.)  Die Erschaffung Adams. Michelangelos berühmtes Deckengemälde in der Sixtina zeigt wie Gott Adam mit dem Zeigefinger zum Leben erweckt.
5.)  Quatentheorie! „Lebendige Seele: Die Quantenphysik baut Brücken zwischen Naturwissenschaft und Glauben. Viele Physiker sagen heute, menschliches Bewusstsein sie außerhalb des Körpers möglich, könne den Tod überdauern: Ein Nachweis für die unsterbliche Seele. ÜBER DEN TOD HINAUS: Unser Körper besteht aus […] Teilchen. Da diese Teilchen auch Wellencharakter haben, lässt sich sagen, dass belebte und die unbelebte Welt miteinander verschränkt sind.“

Besonders der 4. Punkt erscheint mir als klarer naturwissenschaftlicher Beweis unumstößlich zu sein.
In dem für Programmzeitschriften mit sechs Seiten (sic!) ungewöhnlich langen Artikel, widmet sich Schwelien zunächst aber der Frage wieso wir eigentlich wissen wollen wer Gott ist:

Wer ist wie Gott? Das fragte der Erzengel Michael. Luzifer wollte so sein wie Gott. Eine Anmaßung! Dafür wurde er aus dem Himmel gestoßen. Aus der Frage wurde ein Name. Michael bedeutet nichts anderes als „Wer ist Gott?“
(M. Schwelien, GONG, 08.11.13, s.7)

Der GONGer fährt fort mit der Schilderung der bedauerlichen Trennung von Wissenschaft und Kirche im Mittelalter. Erst die heutigen Evangelikalen fanden den Mut „die Bibel buchstäblich auszulegen“ und in den Evolutionsbiologen „anmaßenden Ahnungslose zu sehen, die so sicher wie Luzifer zur Hölle fahren werden“.
Bei den „drängenden Fragen“ nach dem Ende unserer Zeit oder den Grenzen des Weltalls („solche Fragen hat sich jeder schon einmal gestellt.“), käme man unweigerlich zu dem Schluß, das „Unbegreifliche, das höhere Wesen – das muss Gott sein!“

Michael Schwelien hat die wissenschaftliche Arbeitsweise von These, Gegenthese und Beweisführung an dieser Stelle vorbildlich adaptiert.

Er betont, daß das Higgs-Teil an sich noch nicht die Existenz Gottes beweise, aber immerhin würden die Fragen „Gott oder Urknall“ nicht mehr als Gegensätze erforscht!
„Die beiden Grundansätze zur Erklärung des Seins werden als miteinander vereinbar erforscht.“
Es gebe weltweit eine Renaissance der Religionen und ein Miteinander mit den Wissenschaftlern.

„So sagt der Religionswissenschaftler Michale Blume [in diesem MICHAEL Schwelien-Text wimmelt es von Michaels. –T.], Spiritualität und Frömmigkeit seien als segensreiche Resultate der Evolution zu begreifen.“
(M. Schwelien, GONG, 08.11.13, s.8)

Es ist eine glückliche Koalition aus Theologen und Naturwissenschaftlern, die sich nun daran macht die Seele und das Jenseits zu erklären.

Wer ist wie Gott? Können wir ihn sehen? Nein, das geht über unseren Verstand hinaus. Was ist ein Gottesteilchen? Können wir es sehen? Nein, es wurde nur erforscht, dass es eine Masse bildet und dabei eine Spur hinterlässt. Früher dachte man, ein Strahl sei „ein Ding an sich“. Jetzt sehen wir, dass ein Strahl einmal als Strom von Teilchen „in Erscheinung tritt“, und unter anderen Umständen als Wellenbewegung erscheint.
(M. Schwelien, GONG, 08.11.13, s.9)

Dass mit dem Welle-Teilchen-Dualismus die Koexistenz von Naturwissenschaft und Schöpfungsgeschichte bewiesen ist, hat Schwelien damit klar erläutert.
Ich bin insbesondere davon beeindruckt wie toppaktuell die Wissenschaftsredaktion des GONGs ist.
Denn nach den Entdeckungen von Planck und Einstein hat Louis de Broglie den Welle- und Teilchencharakter ja gerade erst 1924, also „jetzt“ wie Schwelien es nennt, erkannt.

Ein hochinteressanter Artikel ist das. Da ich nicht alle Beweise vorweg nehmen will, empfehle ich hiermit jedem echten Naturwissenschaftler sich den aktuellen GONG zu kaufen, um auch endlich an Gott zu glauben!

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