Mittwoch, 15. Mai 2024

Basisversagen

Keine Weltorganisation ist so ultra-zentralistisch aufgebaut, wie die Katholische Kirche. Die 4.000 Bischöfe der 1,4 Milliarden Mitglieder wurden alle vom ultrakonservativen Vatikan ausgesucht.

Das bedeutet für ein vergleichsweise liberales Episkopat wie Deutschland, daß die Führungsfiguren der 27 Bistümer tendenziell eher Arschgeigen sind, für die sich die Schäfchen oft schämen, weil ihnen Meisner, TVE oder Woelki aus Rom gegen ihren Willen, vor die Nase gesetzt wurden.

Das Kirchenvolk hat die Chefs nicht ausgewählt und entwickelt daher im Zweifelsfall auch weniger Elan, die Eminenzen und Exzellenzen zu verteidigen.

Metropolit Woelki ist unbeliebter als Mundfäule; daher wird er in seinen eigenen Kirchen ausgeladen. Niemand will von ihm gefirmt oder verheiratet werden. Seit Canisius 2010 staute sich enorm viel Frust und Wut an. Hochengagierte Katholiken treten aus Protest gegen die DBK aus; innerkirchliche Reformbewegungen - Kirchenvolks-Begehren, Maria 2.0, synodaler Weg – haben enormen Zulauf.

Die deutschen Protestanten verwalten sich selbst. Sie wählen ihre Bischöfe und suchen ihre obersten Repräsentanten selbst aus.

Das hat zur Folge, daß Käßmann, Kurschuss oder Fehrs innerhalb ihres eigenen Vereins nie so unbeliebt wie Meisner, Mixa oder Müller waren.

Die Beißhemmungen sind viel größer, man begehrt nicht so leicht gegen die nette Bischöfin auf, die man sich selbst ausgesucht hat. Es geht etwas demokratischer zu. Die EKD würde es „solidarisch“ nennen.

Aber auch das System hat Nachteile, wenn es darum geht Verantwortung zu übernehmen. Man kann Verantwortung und Schuld wesentlich schlechter anderen in die Schuhe schieben, ohne sich selbst zu belasten.

Zu blöd also, daß nach 14-Jähriger Unterdrückung, mit 14-Jähriger Verspätung auf die Katholischen Brüder, eingeräumt werden musste, daß die evangelischen Geistlichen unter Zudrückung alle Augen, inklusive Hühneraugen, der Vorgesetzten, ebenfalls tausende Kinder sexuell missbraucht hatten.

Blamable 14 Jahre nach den Katholiken, befassen sich die Protestanten mit ihrer Missbrauchsgeschichte. Eine aktuelle Studie zeigt nur eine kleine Spitze des Eisbergs, weil sich viele evangelische Bistümer weigerten Akten rauszugeben. Sie treten lieber weiter die Opfer mit Füßen, um die Täter zu schützen. Das ist die EKD 2024.

[….] Das von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beauftragte Forscherteam hat am Donnerstag in Hannover die erste große bundesweite Studie - 880 Seiten lang - zu sexuellem Missbrauch in evangelischer Kirche und Diakonie vorgestellt. In dem Dokument wird von mindestens 2225 Betroffenen und 1259 mutmaßlichen Tätern gesprochen, untersucht wurde der Zeitraum seit 1946. Das ist laut den Forschern jedoch nur die "Spitze der Spitze des Eisbergs". Es ist ein Erdbeben heftigster Stärke für die EKD. "Die evangelische Kirche und die Diakonie steht erst am Anfang ihrer Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt", sagt Studienleiter Martin Wazlawik.  […..]

(SZ, 25.01.2024)

Die frommen evangelischen Bischöfinnen, mit denen sich Politiker jeder Couleur so gern schmücken, sind moralisch keinen Deut besser, als die Woelki oder TVE.

Myriaden Kinder, die von Angehörigen der evangelischen Kirche bestialisch gequält wurden? Dazu verhält sich das protestantische Kirchenvolk mit einem klaren IST UNS DOCH VÖLLIG EGAL, WAS MIT DEN BÄLGERN GESCHAH!

[…..] Anders als nach Veröffentlichung der MHG-Studie ist aber die große Empörung über die Taten in der evangelischen Kirche bislang ausgeblieben, auch die Resonanz an der Kirchenbasis ist mäßig. Es habe von evangelischen Gemeinden - anders als bei katholischen - kaum Reaktionen auf die Ergebnisse der Forum-Studie gegeben, sagte etwa der Mitautor und Historiker Thomas Großbölting im April bei einer Online-Veranstaltung des Dekanats Fürth. Zugeschaltet waren dem Evangelischen Pressedienst zufolge nur 25 Teilnehmer.

Es sei ein hartes, schmerzliches und beschämendes Thema, sagt Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der EKD und Autor eines Buches zu Missbrauch in der evangelischen Kirche. "Die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche lässt sich nicht als antiautoritärer Protest gestalten und abreagieren", so Claussen. "Denn hier geht es nicht um etwas, das nur einer bestimmten Kaste vorgeworfen werden könnte. Schuldig kann jeder werden: Pfarrer, Mitarbeitende, Ehrenamtliche, jugendliche Teamer, in der Diakonie sogar ziemlich viele Frauen." Dies gelte auch für den Umgang Kirchenleitender mit Tätern und Taten: Keiner, der länger im Dienst sei, würde von sich behaupten, früher alles richtig gemacht zu haben.  [….]

(Annette Zoch, SZ, 14.05.2024)

Da kann man es nicht wegdrücken an Woelki und Ackermann. Also zeigt gleich die gesamte protestantische Glaubensgemeinschaft den Opfern den Mittelfinger.

Und es ist schließlich auch ehrlicher, sich kollektiv zu bekennen: Wir sind eine Täterorganisation, die kein Interesse daran hat, das Kinderfic**n einzustellen, oder Strukturen zu verändern, die Pädo-Kriminelle dazu einladen, im Schutze der protestantischen Kirchen ungehindert Kinder zu quälen, zu schlagen und zu missbrauchen.

[…..] Detlev Zander, Betroffenensprecher des "Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt" bei der EKD sagte, vor der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) Ende April habe er sich anhören müssen, was das Thema da schon wieder solle. Die bayerische Synodenpräsidentin Annekathrin Preidel sagte auf der Landessynode, "wir werden wachsam bleiben" und "neu aufmerksam werden" - so als sei die Kirche immer schon wachsam gewesen. Kaum ein Wort verlor sie in ihrer Rede über eine Aufarbeitung vergangener Taten und die Übernahme von Verantwortung. "Prävention ist keine Aufarbeitung", sagt hingegen Detlev Zander.  [….]

(Annette Zoch, SZ, 14.05.2024)

Ein schöner Persilschein der Basis für die Kirchenfürsten. Die können sich gleich selbst freisprechen und jegliche persönlichen Konsequenzen ablehnen. Zum Beispiel das ehemalige Käßmann-Bistum Hannover, aus dem die wegen Missbrauchsvertuschungen zurückgetretene ehemalige EKD-Chefin Kurschuss stammt. Ein Diakon der Gemeinde Oesede im Kirchenkreis Melle-Georgsmarienhütte hatte mindestens acht Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht. 2010 wurden erstmals Meldungen dazu an die Bistumsleitung gemacht. Kein Bischof reagierte.

[…..] Betroffene forderten Landesbischof Ralf Meister zum Rücktritt auf. Er räumte Fehler ein: "Ich habe mit dazu beigetragen, dass Betroffene weiterhin nicht angemessen gehört wurden", sagte er. Einen Rücktritt lehnte er jedoch "nach Abwägung und Gewissensprüfung" ab, so Meister: "Was verändert sich durch einen Rücktritt mit Blick auf die Gesamtlage der Kirche, die dieses als ein zentrales und absolut brutales Versagen ihres eigenen Handelns sieht, dies aber nicht als einziges Thema der Kirche hat?".  [….]

(Annette Zoch, SZ, 14.05.2024)

Dienstag, 14. Mai 2024

Wie Merz mir ins Gesicht spuckt

Für mich ist das eine große Sache. Obwohl ich in Hamburg von einer deutschen Mutter geboren wurde, erhielt ich heute, nach fast 56 Jahren – deutlich über einem halben Jahrhundert – das erste Mal Wahlunterlagen. Die EU-Wahlen am 09.06.2024 sind die ersten, an denen ich in Deutschland teilnehmen darf.

Über ein halbes Jahrhundert hielten völkische-konservative Vorstellungen vom väterlichen deutschen Blut mich für unwürdig, einen deutschen Pass zu bekommen.

Auch zur Europawahl 2024 treten die Merzidioten mit deutschlandfeindlichen populistischen Parolen an. So einen wie mich, soll es nicht geben.

[….]  Die CDU sieht die gleichzeitige Staatsangehörigkeit in unterschiedlichen Ländern kritisch. „Mit der doppelten Staatsbürgerschaft fehlt das Bekenntnis zu unserem Land“, stellt der CDU-Politiker fest. Es überwiegen die Nachteile. Ein Doppelpass verstärkt die politischen Einflussmöglichkeiten ausländischer Staaten in Deutschland. Der Schutz für diejenigen mit doppelter Staatsangehörigkeit wird entscheidend verkürzt. Unberechtigte Inhaftierungen wie im Fall Deniz Yücel können erfolgen. Zudem entsteht faktisch ein mehrfaches Wahlrecht. Das kann dazu führen, dass in Deutschland Autokraten außerhalb Deutschlands gewählt werden, die dem Land schaden.

Grundsätzlich soll der Doppelpass in Ausnahmefällen möglich bleiben. Schon heute gibt es zahlreiche Ausnahmen, beispielsweise für EU-Bürger, anerkannte Flüchtlinge und Menschen, die der Herkunftsstaat nicht aus der Staatsangehörigkeit entlässt. Innerhalb der EU ist eine doppelte Staatsangehörigkeit auch schon möglich.   [….]

(CDU Wahlprogramm 2024)

Deutschland droht der Stillstand, weil CDUAfDCSU und teilweise die FDP hartnäckig  völkisch rechtspopulistischen Blutrechtsvorstellungen anhängen. Sie würgen lieber die deutsche Ökonomie vollständig ab, als von ihren bräunlichen Reden abzulassen.

[….] Unternehmen können rund zwei Millionen Stellen nicht besetzen!

Der Fachkräftemangel in Deutschland verschärft sich weiter: Laut einer Umfrage des Industrieverbands DIHK hat mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen Probleme, offene Stellen zu besetzen. [….]

(SPON, 12.01.2023)

Typen, wie mir, bereits nach lumpigen 55 Jahren in Deutschland einen deutschen Pass zu geben, betrachtet Merz als viel zu übereilt.

[….]  Erfolgreiche Integration braucht Zeit[….] Wer einmal vom Land in die Stadt umgezogen ist, wer im Studium ein Jahr im Ausland verbracht hat, der weiß, wo die Schwierigkeiten lauern. Die Liste der Herausforderungen ist lang. Vor allem für Migranten aus anderen Kulturkreisen warten auch eine neue Kultur, eine neue Mentalität – und eine andere Sprache. Eine nachhaltige Integration braucht daher Zeit. Eine deutsche Staatsbürgerschaft ist für alle Beteiligten erfolgreich, wenn sie am Ende des Integrationsprozesses erfolgt.

Vorgezogene Staatsbürgerschaft hilft nicht gegen Fachkräftemangel

Eine schnellere Einbürgerung hilft weder den Menschen, die sich hier ein neues Leben aufbauen möchten, noch den Unternehmen, die dringend nach Fachkräften suchen. Stattdessen ist es menschlich erforderlich, ihnen die Chance zu einer tiefgreifenden Integration zu ermöglichen. [….]

(CDU Wahlprogramm 2024)

Genau! Und Fachkräfte braucht man eh nicht in Deutschland. Besser, wir schotten uns ab, machen die Grenzen zu, geben niemanden, dessen blonde und blauäugige Familie nicht seit dem Mittelalter in Deutschland lebt, den schönen deutschen Pass.

Das Deutsch-Sein an sich verstehen diese Dunkelköppe doch gar nicht. Wer nicht Christ ist und nicht CDU wählt, ist nicht richtig deutsch. Und soll nicht hier arbeiten.

Ein deutsches Pflegeheim soll deutsch bleiben. Nicht, daß am Ende lauter Pass-Deutsche wie ich, mit germanisch unreinem Blut, den erlahmten CDU-Geronten die Hintern abwischen.

[….] Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ist in aller Munde – doch wie genau beeinflusst er die Entwicklung der deutschen Wirtschaft? Dieser Frage sind Wissenschaftler am – arbeitgebernahen – Institut der deutschen Wirtschaft in Köln nachgegangen. Würden deutsche Unternehmen ihren Fachkräftebedarf decken können, wären in diesem Jahr zusätzlich Güter und Dienstleistungen im Wert von 49 Milliarden Euro zu erwirtschaften. Diese Berechnung geht aus einem Papier zweier Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hervor. Wenn der derzeitige Bedarf von etwa 573.000 qualifizierten Arbeitskräften gedeckt wäre, könne das sogenannte Produktionspotenzial demnach im laufenden Jahr um 1,1 Prozent höher liegen. Bis zum Jahr 2027 könne der Mehrwert bei 74 Milliarden Euro liegen. Mehr Informationen zu der Berechnung finden Sie auf der Webseite des Instituts.  [….]

(SPIEGEL, 13.05.2024)

Wenn Merz erst Kanzler ist, kommt Deutschland ganz ohne die doofe Wirtschaft aus. Und Geld wird dann auch keins mehr ausgegeben. Schuldenbremse, Schuldenbremse über alles! Die Ökonomie zu ruinieren, war schon immer ein Markenzeichen der Union.

[….] „Die Ampel hat jeglichen Bezug zur Realität verloren. Mitten in der Migrationskrise senkt sie die Voraussetzungen für den deutschen Pass und setzt damit zusätzliche Anreize für illegale Zuwanderung nach Deutschland. Das macht fassungslos. Die Union lehnt den Gesetzentwurf klar ab.

Die verkürzten Einbürgerungsfristen werden dazu führen, dass vermehrt Ausländer eingebürgert werden, die sich noch nicht voll in unserem Land integriert haben. Das ist gerade jetzt, wo die Fliehkräfte in unserer Gesellschaft deutlich zunehmen, nicht richtig. Die Einbürgerung muss am Ende des Integrationsprozesses stehen. Integration braucht Zeit und ist mehr als Arbeit und Sprache. In europäischen Ländern mit einer vermeintlich fortschrittlichen Einwanderungspolitik in früheren Jahren sind heute gravierende Integrationsprobleme deutlich erkennbar. Die Ampel will das offenbar nicht wahrhaben.

Auch die generelle Möglichkeit zur doppelten Staatsbürgerschaft ist ein Fehler. Gerade in einer Zeit, in der unsere freiheitlich-demokratischen Werte weltweit immer stärker unter Druck geraten, sollte mit der Einbürgerung die klare Hinwendung zu unserem Staat verbunden sein.   [….]

(CDUCSU-Bundestagsfraktion, 30.11.2023)

Bevor Fritze Merz mir den deutschen Pass wieder wegnimmt, darf ich aber nun wenigstens einmal wählen.

Ich weiß schon mal eine Partei, die ich ganz sicher nicht ankreuze!

Montag, 13. Mai 2024

Bibi in der Falle

Osama bin Laden und Ismail Haniyya, die Chefs von Al Kaida und Hamas, stamm(t)en aus völlig unterschiedlichen Verhältnissen und führ(t)en unterschiedliche Kämpfe.

Bei ihren Megaanschlägen, dem „9-11“ 2001 in NY mit knapp 3.000 Toten und dem 07.10.2023 in Israel mit 1.200 Opfern, verfolgten sie aber dasselbe Kalkül. Sie reizten eine militärisch hochüberlegene Macht zur Weißglut. Die Terrortage selbst brachten der USA und Israel weltweites Mitgefühl ein, ihre Verbündeten verhielten sich solidarisch, die Regierungen Bush und Netanyahu wurden davon nicht gefährdet. An den beiden Tagen selbst hatten die Terrorpaten (noch) nichts gewonnen.

Aber der wichtigere Teil der Pläne sollte erst kommen, nämlich in den von vorn herein zum Scheitern verurteilten überzogenen Racheaktionen, welche für die USA und Israel ökonomisch extrem teuer wurden und, noch wichtiger, sowohl ihre Verbündeten abrücken ließen, als auch weltweit antiamerikanische, bzw antiisraelische Stimmungen anheizten. Aus Sicht von bin Laden und Haniyya war sicher ein Entflammen der gesamten muslimischen Welt gewünscht, welches den verhassten Westen mit Terror überziehen würde.

Das perfide Kalkül ging/geht zu weiten Teilen auf, weil den Terrorfürsten die Leben ihrer eigenen Leute viel weniger wert sind, als den demokratischen Regierungen, ihre Bevölkerung.

35.000 massakrierte Palästinenser in Gaza, darunter überwiegend Frauen und Kinder, sind für die Hamas eher zu verschmerzen als für die Israelische Regierung, die es nun mit der Wut der weltweiten Öffentlichkeit zu tun bekommt, so daß eine junge israelische Sängerin in Malmö nur noch unter massiven Polizeischutz auftreten kann.

Benjamin Netanyahu wird international verachtet. Er wird sicher problemlos damit leben können, daß ich ihn verabscheue. Daß ESC-Fans und Greta Thunberg in Schweden gegen den Gaza-Krieg protestieren, daß in US-amerikanischen und deutschen Universitäten Empörung über ihn herrscht.

Das Abrücken der USA, die weniger Munition liefert und Israel im UN-Sicherheitsrat nicht mehr mit ihrem Veto schützt, ist hingegen hochgefährlich.

Noch schlimmer ist nur sein Ansehen im eigenen Land. Bei den Israelischen Wählern, ist Bibi ungefähr so beliebt wie Fußpilz, weil er offenkundig seine eigenen Pläne nicht umsetzen kann. Weder ist die Hamas zerschlagen, noch hört der Terror auf, noch kamen die israelischen Geiseln frei.

Deswegen kann Bibi nicht neu wählen lassen, ohne damit zu rechnen in der Opposition zu landen. Aus seiner Sicht muss er aber Regierungschef bleiben, weil er so kriminell, korrupt und raffgierig ist, daß er ohne Immunität (wie sein Bruder im Geiste – Trump) im Knast landen könnte.

[….] Benjamin Netanjahu war und bleibt der Nullpunkt eines Krieges, der keine Sieger kennen wird. Der israelische Premierminister ist gefesselt in seiner Macht-Matrix, die aus so ungleichen Spielern besteht wie den Ultrarechten seiner Regierung und dem amerikanischen Präsidenten mit seiner demokratischen Wählerklientel. Netanjahu ist gefangen zwischen einer Terrororganisation, die aus dem Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza heraus nach wie vor Krieg gegen Israel führt. Exakt für diese Zivilbevölkerung und die verheerende humanitäre Lage trägt Israel mit dem Einmarsch nach Gaza Verantwortung. Und schließlich steckt Netanjahu in einem rechtlichen Dilemma, weil ein unverhältnismäßig rücksichtslos geführter Krieg die politischen Ziele nicht erreichen wird, die sich Israel nach dem Terrorüberfall gegeben hat. Daraus erwächst ein völkerrechtliches Problem, das in einer Anklage münden könnte und bereits jetzt zu einer Niederlage im virtuellen Gerichtssaal der globalen Öffentlichkeit geführt hat.

Es ist inzwischen also möglich, dass dieser Krieg in einer umfassenden Niederlage Israels endet, vielleicht nicht militärisch, aber politisch und moralisch. Das wäre keine geringe Katastrophe für einen Staat, der auch aus dem Grauen des Holocaust entstanden ist und dessen Legitimität von Antizionisten und Antisemiten in naiver Einseitigkeit mehr denn je infrage gestellt wird. [….] So wie die Hamas für den Ausbruch dieses Krieges die Verantwortung trägt, so trägt der israelische Premier die Verantwortung für seinen Verlauf. Die Vorstellung, einen "Krieg gegen den Terror" führen und die Hamas militärisch besiegen zu können, bleibt so falsch wie 2001, als George W. Bush den Begriff prägte. Netanjahu hat diese Vorstellung übernommen, weil er in allen nicht militärischen Wegen zur israelischen Selbstbehauptung keine politische Überlebenschance für sich selbst erkennt.

Die Rafah-Offensive liefert den Beleg dafür, warum das Verhängnis seinen Lauf nehmen wird: Würde Netanjahu auf einen Waffenruhe-Plan eingehen, müsste er das Kriegsziel "militärische Zerstörung der Hamas" aufgeben, die extreme Rechte würde ihm die Gefolgschaft aufkündigen. Lässt der Premier die Armee dagegen in Rafah einmarschieren, verliert er den Rest der Unterstützung durch die Regierung Biden, die ihren Waffenstopp als Warnung verstanden haben will. Die Hamas würde der Premier damit nicht einmal zerschlagen - sie baut ihren Machtapparat gerade wieder im Norden Gazas auf. [….]

(Stefan Kornelius, 12.05.2024)

Einen kriminellen, unfähigen und amoralischen Regierungschef zu haben, ist unglücklicherweise nicht nur ein Problem für das kleine Israel.

Es ist ein Mann, in dessen Person sich alles, was im Nahen  Osten schief geht inkarniert: Bibi.

[….] Premierminister Benjamin Netanyahu nutzt das kollektive Trauma, um seine katastrophale Politik fortzuführen. Israel ist international zunehmend isoliert. Damit es zu einer Lösung kommen kann, muss er endlich gehen.

[….] Der Regierungschef soll immer wieder die Verhandlungen [zur Geiselbefreiung] torpediert haben: Er hält Delegationen davon ab, zu den Gesprächen nach Kairo zu reisen, zieht immer wieder neue Rote Linien bei der israelischen Verhandlungsposition, attackiert die Vermittler – und hat zuletzt einen Teilvormarsch nach Rafah verfügt. Vor allem sperrt er sich gegen einen Plan, den Krieg zu einem Ende zu bringen, gegen eine dauerhafte Feuerpause und gegen eine Regelung für den »Tag danach« unter Einbindung ausländischer Kräfte und der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Netanyahu weigert sich, Verantwortung für den 7. Oktober zu übernehmen

Nach dem Urteil vieler Analysten geht es Netanyahu vor allem um die Fortsetzung seiner Koalition mit den Rechtsextremen. Er braucht Leute wie den vorbestraften Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, der immer wieder mit Ausfällen gegen Bündnispartner empört, für sein politisches Überleben.

Benjamin Netanyahu – »der schlechteste Anführer in der jüdischen Geschichte« (»New York Times «-Kolumnist Thomas Friedman) – hatte sein Volk mit der sogenannten Justizreform , der versuchten Schleifung der Gewaltenteilung, im vergangenen Jahr bereits gespalten. Die durch das Zerwürfnis der politischen Lager verursachte Unaufmerksamkeit könnte die Terrorattacke des 7. Oktober wesentlich begünstigt haben. Doch Netanyahu weigert sich bis heute hartnäckig, für die Katastrophe auch nur eine Teilverantwortung zu übernehmen.

Stattdessen hat er die Armee in einen Krieg geführt, den sie so nicht gewinnen kann. Seit einigen Tagen kämpfen die Truppen wieder im Norden Gazas, darunter in Dschabalia, wo die Hamas längst als besiegt galt. Das Militär hatte sich – in Ermangelung einer Übergangsmacht, die die Verwaltung und Gebietssicherung hätte übernehmen können – von dort zurückgezogen, um sich nicht zum Ziel von Guerillaangriffen zu machen. Nun müssen die Soldaten erneut einrücken, weil die Islamistenorganisation wieder die Kontrolle übernimmt. »Die Hamas hat in den vergangenen Monaten Israels Verhalten studiert und gelernt. Sie lockt die israelischen Truppen nun förmlich dahin, wo sie sie attackieren kann«, sagt der palästinensische Analyst Khalil Shikaki , Gründer des »Palestinian Center for Policy and Survey Research «.

[….] Mit Neuwahlen und Netanyahus Abschied von der politischen Bühne wäre vieles davon noch längst nicht gelöst. Aber es gäbe zumindest wieder Hoffnung auf Besserung in Nahost. Und in Israel könnte endlich die Heilung beginnen. [….]

(Thore Schröder, DER SPIEGEL, 13.05.2024)

Sonntag, 12. Mai 2024

Israel, Juden, Bibi und der ESC

Es ist nicht antiamerikanisch, Donald Trump einen moralisch völlig verkommenen hochkriminellen rassistischen Demokratiezerstörer zu nennen und seine Anhänger der kompletten Verblödung zu bezichtigen.

Es ist nicht antigermanisch, Fritz Merz für einen rückwärtsgewandten misogynen ökonomisch unterbelichteten Unsympathen zu halten, dessen Politik Deutschland schwer schadet.

Es ist nicht russophob, zu konstatieren, in welchen Abgrund der aggressive Kriegsverbrecher Putin führt.

Es ist nicht antichristlich, festzustellen, was für ein zutiefst heuchlerischer selbstverliebter Menschenfeind Kardinal Woelki ist.

Es ist nicht antisemitisch, die Netanyahu-Regierung, ihre Kriegsführung in Gaza und ihren Kampf zum Abbau des israelischen Demokratie, zutiefst zu verachten und sich zu wünschen, Bibi möge mitsamt seinem rechtsradikalen Sohn Jair und seiner abstoßend korrupten Frau Sara für immer im dunkelsten Knast weggesperrt werden.

Im Gegenteil; ich betrachte mich unterm Strich doch Russland, der USA, Israel und Deutschland gegenüber freundlich gesinnt und wünsche allen vier Nationen eher Frieden und Prosperität. Genau deswegen wünsche ich Merz, Bibi, Putin und Trump die Pest an den Hals. Genau deswegen wünschen sich die Israelis das mehrheitlich für ihren Ministerpräsidenten und die Hälfte der US-Amerikaner für Trump.

Etwas anders verhält es sich bei der katholischen Kirche, für die ich tatsächlich aufgrund ihrer 2.000-jährigen Kriminalgeschichte, ihrer antihumanistischen Agenda und ihrer abscheulichen Rolle im gesellschaftspolitischen Diskurs, keinerlei Sympathien aufbringen kann. Die Welt wäre friedlicher und gerechter ohne die RKK. Daher wünsche ich der Eminenz Woelki noch ein langes Leben und mächtige Posten in seiner Kirche.

(….) Unser wertvollster Agent, ein schwerer Zerstörer der TVE-Mixa-Klasse, bleibt nach der der Beförderung Ratzingers am 31.12.2022 weiterhin der Kölner Metropolit. (….) Umso erfreulicher, daß Papst Franziskus mit Rainer Maria Kardinal Woelki, 66, am 11. Juli 2014 einen so wirkungsmächtigen Säkularisierungsbeschleuniger zum wichtigsten und reichsten deutschen Metropoliten machte. Als Kölner Erzbischof vermochte es Woelki, erst in Köln und dann bundesweit, die Terminvergabe für Kirchenaustrittsgesuche kollabieren zu lassen! Dank seiner Leistung unterschritten protestantische und katholische Kirche zusammen bereits 2022 die 50% Grenze und stellen nun erstmals seit vielen Jahrhunderten eine Minderheit in Deutschland.  Woelki ist mein Held und ich werde ihm für seinen Einfallsreichtum immer dankbar sein.(….)

Einem katholisch aufgewachsenen Teenager, der den Katholizismus mit der Muttermilch einsog und daher an der Kirche hängt, billige ich Religionsfreiheit zu und verstehe auch, wenn ungebildete oder dämliche Leute, die dennoch durchaus gute Menschen sein können, in der Kirche bleiben. Wer aber intelligent und gebildet ist, selbstständig denkt, eigene Entscheidungen trifft und dennoch mit seiner Mitgliedschaft finanziell diese homophob-misogyn-antihumanistische raffgierige Kinderfi**erorganisation unterstützt, verliert meine Sympathie. Man kann schließlich jederzeit aus der Kirche austreten und soll das gefälligst auch tun, weil die Religion eine negativistische Wir-sind-besser-als-die-Ideologie ist.

Nationalität ist aber keine Ideologie, sondern fast immer purer Zufall. Der Pass sagt nichts über Wertvorstellungen aus. Man kann nicht einfach aus seiner Staatsbürgerschaft austreten, weil man irgendeinen Pass braucht. Aus bestimmten Nationalitäten – der türkischen oder iranischen – kann man gar nichts austreten; aus meiner, der US-amerikanischen, nur sehr schwer.

Ich kann also einem erwachsenen denkenden Menschen Vorwürfe dafür machen, Mitglied der Kirche zu sein, aber nicht dafür, Mitglied einer Nation zu sein.

Wer das, was ich hier schreibe, verachtet, kann mich gern hassen. Wer das aber damit begründet, daß ich Amerikaner bin, argumentiert antiamerikanisch.

Wer Anna Netrebko boykottiert, weil sie Russin ist, handelt russophob. Wer in Berlin auf der Straße Menschen beschimpft, die zufällig eine Kippa tragen oder Schläfenlocken haben, agiert antisemitisch.

Wer eine Sängerin beim ESC ausbuht, und ihr physisch so zusetzt, daß sie weggesperrt werden muss, nur weil sie zufällig Israelin ist, handelt antisemitisch.

[…..]  Ausgerechnet Israel. Dass das Land teilnehmen darf trotz des Gazakriegs, war das eigentliche Thema der vergangenen Wochen, auch am Samstag gab es noch Demonstrationen, inklusive Festnahmen.

Um zu zeigen, wie hitzig das Ganze in Skandinavien über Monate diskutiert wurde, nur mal Pars pro Toto die letzten News aus Island: Dort wurde deutlich weniger Werbezeit verkauft als in den Jahren zuvor. Der Songwriter des isländischen Beitrags distanzierte sich von seinem eigenen Song und der Stamm-ESC-Moderator schrieb, er könne wegen der „Aktionen Israels in Gaza und der fehlenden Reaktion des Wettbewerbs darauf“ den Job dieses Jahr nicht machen. Man kann das in Sachen Aufregungsamplitude eins zu eins auf Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland übertragen (allerorten riesige Petitionen, dieses Jahr nicht zu übertragen und großer Absage-Druck in den sozialen Medien auf die jeweils teilnehmenden Künstler).  [….] Der infamste Beitrag der ganzen Woche stammt nicht von einem der Interpreten, sondern von dem polnischen Journalisten, der die Israelin Eden Golan bei ihrer Pressekonferenz am Donnerstag fragte, ob sie sich nie überlegt habe, dass sie die anderen Teilnehmer in Gefahr bringen könnte. Er fragte das, nachdem sie sich die ganze Woche über als einzige Künstlerin hatte verstecken müssen und nur unter Hochsicherheitsvorkehrungen ihr Zimmer verlassen konnte, während alle anderen ihren Spaß hatten. [….] 

(SZ, 12.05.2024)

Ökonomische Sanktionen sind sehr heikel, weil sie ein ganzes Volk treffen, aber nur die Regierung gemeint ist. Die Regierungsmitglieder aber leiden üblicherweise gar nicht, während das Volk es ausbaden muss.

Besonders brutal und dramatisch war es im Irak vor 2003, als hunderttausende Kinder verhungerten oder durch Medikamentenmangel starben. Die Nordkoreanische Kim-Dynastie sitzt nach Jahrzehnten brutalster Sanktionen noch fest im Sattel und lässt es sich gutgehen.

Das Beispiel Russland zeigt, wie ineffektiv Sanktionen sind, wenn sie nicht von allen mitgetragen werden.

Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine, läuft es militärisch prima für Putin; die russische Wirtschaft wächst. Es hilft den Kims, den Mullahs in Teheran und Putin womöglich sogar bei ihrer Propaganda, wenn sie alle Probleme auf die bösen Außenwelt mit ihren angeblich ungerechten Sanktionen schieben können.

Andererseits haben Sanktionen ihre Berechtigung als schärfste Waffe der Staatengemeinschaft unterhalb militärischer Maßnahmen.

Wie will man sonst verbrecherisches Handeln von Atommächten ahnden?

Sanktionen und Boykotte jedoch auf Bereiche auszuweiten, die reine Sport- oder Kulturveranstaltungen sind, halte ich für unnütz. Russische Literatur, Musik, russische Tennisspieler oder Opernsängerinnen oder ESC-Beiträge zu verbieten, um Putin zu treffen, kann keinen Erfolg haben.

Außerdem kann man nicht der Falle der Doppelmoral entgehen. Russland in Malmö ausschließen, aber Israel zulassen? Da wird etwas auf dem Rücken von Musikern ausgetragen, die weder politische, noch militärische Expertise haben und sich ihre Staatsbürgerschaft nicht aussuchen konnten.

Besser wäre es, alle zuzulassen und auch politische Äußerungen zu erlauben, auf daß sich in den Tagen des internationalen Zusammenseins eine fruchtbare Diskussion entwickelt.

Falls das nicht möglich sein sollte, weil sich die ESC-Fans dann wie verfeindete Fußball-Fangruppen gegenseitig verprügeln, hat das jeweilige Event in der demokratischen Welt keine Daseinsberechtigung. Gewalttätige Fußballspiele und Sängerwettstreite gehören ganz verboten und nicht unterstützt.

Samstag, 11. Mai 2024

Unreifes Einwanderungsland

Omid Nouripour wurde 1975 in Teheran in eine wohlhabende Intellektuellen-Familie geboren. Beide Eltern Nouripours sind Luftfahrtingenieure, die Mutter ist außerdem Biologin, der Vater Volkswirt. Mit dem 13-Jährigen Sohn 1988 nach Hessen auszuwandern, war notwendig, da er ein Jahr später wegen des anstehenden Wehrdienstes nicht mehr den Iran verlassen konnte. Omids Onkel war da bereits vom Iranischen Regime hingerichtet worden und seiner Schwester wurde das Studium verweigert.  Schon im Iran hatte der kleine Omid Deutsch gelernt und die Familie besaß eine Ferienwohnung in Frankfurt.

Der intellektuelle Exodus des Irans in Folge der Mullah-Machtübernahme und des Iranisch-Irakischen Golfkrieges (1980-1988) war für die betroffenen Menschen eine Tragödie und für die Islamische Republik eine ökonomische Katastrophe.

Des einen Leid, des anderen Freud: Die muslimischen Einwanderer, die in den 1980ern aus dem früheren Persien nach Deutschland kamen, sind Muster-Migranten, wie man sie sich nicht schöner backen könnte. Fast alles Intellektuelle, die als Ärzte, Architekten und Wissenschaftler, das Land kulturell und ökonomisch bereichern. Iranische Kriminalität in Deutschland ist quasi unbekannt; logisch, denn Kriminalität korreliert nicht mit Ethnie oder Religion, sondern mit Bildung und sozialem Status.

Das Statistische Bundesamt zählt gut „300.000 Menschen mit iranischen Migrationshintergrund im engeren Sinne“ in Deutschland.

Da ist es naheliegend, wenn sich einige von ihnen auch in der deutschen Spitzenpolitik wiederfinden. Nouripour ist seit 2022 Bundesvorsitzender der Grünen, Bijan Djir-Sarai, 1976 in Teheran in eine Akademiker-Familie geboren, amtiert als FDP-Generalsekretär. Niema Movassat, der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken, wurde 1984 in Wuppertal geboren; auch seine Eltern sind beide Akademiker aus dem Iran. Die Sozialwissenschaftlerin Bahar Haghanipour, geboren 1984 in Teheran, amtiert für Bündnis 90/Die Grünen als Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin. Die heutige Vorsitzende des mächtigen Deutschen Gewerkschaftsbundes Yasmin Fahimi, wurde 1967 in Hannover als Tochter eines Iranischen Chemikers geboren, schloß selbst ebenfalls ein Chemiestudium ab, war SPD-Generalsekretärin und Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Nargess Eskandari-Grünberg wurde 1965 in Teheran geboren, flüchtete 1985, wie die Nouripours nach Hessen. Sie wurde in Psychologie promoviert, leitet ihre eigene Psychotherapeutische Praxis, sowie ehrenamtlich eine Beratungsstelle des Deutschen Roten Kreuzes und amtiert seit 2021 für Bündnis 90/Die Grünen als Bürgermeisterin (Erste Beigeordnete) der Stadt Frankfurt am Main.

Gern zitiere ich in diesem Blog auch die taz-, ARD- und Spiegel-Autorin Gilda Sahebi, die ebenfalls 1984 im Iran als Tochter intellektueller Regimegegner geboren wurde und im Alter von drei Jahren nach Deutschland in Sicherheit gebracht wurde. Auch sie ist eine intellektuelle Überfliegerin, schloß zwei Studiengänge,  Humanmedizin und Politikwissenschaft, erfolgreich ab und ließ sich obendrein zur Journalistin ausbilden.

[…]  Sie hatten ihm Augen und Hände verbunden. Orientierungslos und verängstigt lief mein Onkel im Zelt umher, das die Revolutionsgarde im Gefängnishof aufgestellt hatte. Er war 14 Jahre alt. Seit Monaten war er eingesperrt. Islamische Fundamentalisten hatten Iran nach der Revolution 1979 fest in der Hand und mein Onkel wurde verhaftet, weil er im Frühjahr 1981 Flugblätter einer kommunistischen Jugendgruppe verteilt hatte.  Die Revolutionswächter ließen meinen Onkel so lange blind im Zelt umherirren, bis er gegen einen Samowar mit heißem Wasser stieß und sich den Körper verbrühte. Mein Großvater, den sie auch gefangen genommen hatten, hörte seinen Sohn nach ihm schreien. Er musste hilflos warten, bis seine Schreie verstummten. 

Heute habe ich mit meinem Vater telefoniert. Aufgeregt sagte er mir, er höre Stimmen aus Iran, dass das Ende des Regimes nah sei. Seit fast einer Woche dauern die Proteste dort jetzt schon an. Mein Leben und das meiner ganzen Familie sind von dem Regime bestimmt worden, gegen das gerade demonstriert wird. Ich müsste mich also freuen, dass die Menschen gegen diese Diktatur auf die Straße gehen. Aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich denken soll.

Als ich vor ein paar Tagen zum ersten Mal davon las, war ich erst einmal nicht überrascht: Protestieren, das können die Iraner. Sogar mein Vater, der heute Tramübergängen aus dem Weg geht, weil er Angst vor der Kollision mit einer fehlgeleiteten Straßenbahn hat, hat sich 1979 für ein demokratisches Iran in den Kugelhagel gestellt. Und Grund zum Demonstrieren haben die Iraner auch heute noch. Weil Eier inzwischen praktisch zum Luxusgut geworden sind, kursiert der zynische Satz, dass ein iranisches Huhn zur Zeit mehr Wert erzeugt als ein iranischer Mensch. Lebensmittel werden immer teurer, in Apotheken sind die einfachsten Medikamente nicht zu haben. Jeder ist betroffen, je ärmer, desto schwerer. Zensur, Repression, Unfreiheit überall. 

Ich bin 33 Jahre alt und kann seit zwanzig Jahren nicht nach Iran zurückkehren. Mein Vater ist politisch verfolgt und könnte nicht mal den kleinen Zeh über die iranische Grenze setzen, ohne sofort eingebuchtet zu werden. Als ich ein Jahr alt war, musste er Hals über Kopf aus Iran fliehen, meine Mutter und mich ließ das Regime erst ausreisen, als ich drei war. Meinem Onkel haben die Mullahs die Kindheit gestohlen. Wer als Dreizehnjähriger ein Jahr lang in ein Diktatoren-Gefängnis geht, kommt nicht als normaler Vierzehnjähriger wieder heraus. Meine Familie in Iran wurde auseinandergerissen. Und mit ihr unzählige andere iranische Familien.  […]

(Gilda Sahebi 2018)

Katajun Amirpur, 1971, als Tochter des damaligen iranischen Kulturattachés in Köln geboren, kennt man als SZ-Autorin und bedeutende Professorin der Islamwissenschaft, die mehrere Lehrstühle an deutschen Universitäten innehat. Sie war verheiratet mit dem deutsch-iranischen Schriftsteller und Journalisten Navid Kermani, der 1967 in Siegen geboren, nicht nur habilitierter Orientalist ist, sondern auch 2015 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt.

Die Leiterin des Weltspiegels, Isabel Schayani, wurde 1967 in Essen geboren und ist studierte Orientalistin. Golineh Atai, gegenwärtig Leiterin des ZDF-Studios in Kairo, wurde 1974 in Teheran geboren. Ihre Familie flüchtete 1979 wegen der Machtergreifung Khomeinis aus dem Iran. Sie machte an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg drei Magister-Abschlüsse in den Fächern Romanistik, Politologie sowie Iranistik.

Deutsch-Iraner bereichern Deutschland nicht nur akademisch, sondern auch als Unternehmensgründer.

[….] Sohrab Mohammad ist einer von vielen Unternehmern in Deutschland mit ausländischen Wurzeln. Mittlerweile gilt das für etwa jeden sechsten Gründer, ergab eine kürzlich veröffentlichte Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (ifm) und der Universität Mannheim. Gerade in der Start-up-Szene fallen immer wieder iranische Namen auf – so wie der von Sohrab Mohammad.  […..]

(Heike Bensch 2017)

Die sogenannte „Mehrheitsgesellschaft“, welche die CDU so gern als „Leitkultur“ darstellt, hat allen Grund den Deutsch-Iranern zu danken. Man sollte ihnen einen eigenen Feiertag widmen. Sie sind die „Kronjuwelen der Integration“.

Aber Leitkultur ist ein reiner Ausgrenzungsbegriff, dessen positiven Inhalte niemand in der CDU definieren kann.

Aber ich kann „Leitkultur“ definieren: Es ist die den Deutschen eigene bornierte Doofheit, die sie so bräsig werden ließ, daß sie intellektuell und technologisch den Anschluss an die Weltspitze verloren.

Leitkultur ist, wenn sich der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripous anhören muss „Du Scheiß Araber, geh zurück in die Türkei!“

[….] Man könnte einen launigen Leseabend veranstalten mit den Zuschriften, so strotzen manche vor Irrsinn. Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour solle sich "erst mal über fünf Generationen" in unsere "germanisch-keltische Mehrheitsgesellschaft" assimilieren, "dann dürfen Sie mal nachfragen", schreibt einer, der sich "Dr. Rückl" nennt und betont: Er sei "Kerndeutscher". Bei der SPD-Vizevorsitzenden Aydan Özoguz seufzt einer: "Ach, die Moslems sind unverschämt." Und wettert weiter: "Wenn Ihnen das Vorgehen des Innenministers nicht passt, dann verlassen Sie doch unser Land!" Und Serkan Tören von der FDP durfte zur Straffreiheit von Beschneidungen lesen: "Ich nehme stark an, Sie haben sich inzwischen Ihren Schwanz abschneiden lassen und dazu beigetragen, dass sich Ihre Sippe nicht weiter vermehren kann."

Eigentlich ist das Kabarett. Wenn nicht so eine Wut dahinterstecken würde. Und wenn da nicht diese Drohungen wären: Wir wissen, wo Du wohnst, Du solltest auf Deine Gesundheit achten. Solche Sätze. Und es ist nicht unbedingt lustig, wenn auf der Internetseite der Abgeordneten und Mutter Özoguz jemand nach dem Stichwort "Kind" sucht. "Da war ich doch alarmiert", sagt Özoguz. [….] Im Netz konzentriert man sich gerne darauf, dass Özoguz Deutsch-Türkin und gläubige Muslimin ist. "Packen Sie Ihre Koffer und gehen Sie in Ihre Heimat zurück oder am besten ins muslimische Gulag", mailt einer. "Unser Trost ist, dass genügend Lampen in den Straßen stehen, an denen wir euch aufknüpfen werden", ein anderer. [….]  Bei Omid Nouripour [….] laufen solche Wellen auf, Dutzende, Hunderte Mails, je nach Anlass. [….] Er darf sich von allen Seiten beleidigen lassen. Von rechts fasst man eine schlichte Botschaft in immer neue Variationen: Ein "Ausländer" darf hier nicht mitreden, er soll gehen, "zurück ins Ali Land".

Am heftigsten reagiert die Klientel, wenn sich Nouripour der deutschen Geschichte annimmt. Wenn er fordert, Kasernen nicht nach dem Wehrmachts-Helden Erwin Rommel zu benennen, "geht die Post ab". Humor hilft, sagt Nouripour, der Deutsch-Iraner hat eine Lieblingsbeschimpfung, die eines Ahnungslosen: "Du scheiß Araber, geh zurück in die Türkei!" [….] Auch das zählt zum Migranten-Dasein im Bundestag. [….]

(Roland Preuß, 29.06.2013)

Freitag, 10. Mai 2024

Alle Schleusen offen

Wir erleben bei der Serie der tätlichen Angriffe auf Politiker gerade ein selbstverstärkendes System. Erst war da die Hetze der AfD, die mit Zitaten aus „Mein Kampf“ und menschenfeindlicher Sprache – „wir werden sie jagen“ – die Gedanken der Gewaltattacken in die Köpfe ihrer Wähler setzte.

Mögliche verbliebene Hemmungen, ihre Gewaltphantasien in die Tat umzusetzen, beseitigten schließlich CDU, FW und CSU, welche das xenophobe Gedankengut verstärkten und ungeniert lügend insbesondere den Hass auf die Grünen beförderten. Umso herzlicher umschwärmt man den antisemitischen Putinisten Orbán, der drastisch xenophobe Politik in die Tat umsetzt.

[….] Bei Orbán wanzte die CSU sich noch an

Ein gutes Arbeitsverhältnis hat noch nie geschadet, erst recht nicht, wenn man um dessen Grenzen weiß. Den ungarischen Autokraten Orbán hatte die CSU, vor allem in Person von Söders Vorgänger Horst Seehofer, lange hofiert. Und als Orbán zur Winterklausur der CSU-Landesgruppe in Kloster Seeon eingeladen war, begrüßte deren Vorsitzender Alexander Dobrindt "unseren Freund Viktor".   [….]

(SZ, 10.05.2024)

So lange die physischen Attacken auf Politiker noch einigermaßen vereinzelt sind – Schäuble, Lafontaine, Reker, Lübcke – kann man es psychisch Kranken und Fanatikern in die Schuhe schieben.

Inzwischen aber sind die Gewalttaten, zur Freude der AfD, aber so häufig, daß demokratische parlamentarische Kommunalpolitik partiell zum Erliegen kommt, weil sich keine Kandidaten mehr finden. Statt denjenigen zu danken, die ihre Freizeit für das Allgemeinwohl opfern, werden sie zusammengeschlagen.

Das ist ein Baustein auf dem Weg in den Totalitarismus. Wir nahmen schon seit den 1990ern „national befreite Zonen“ hin. Um die Tourismusindustrie nicht zu gefährden, breitete man den Mantel des Schweigens darüber, daß es insbesondere in Ostdeutschland große Gebiete gibt, in denen man sich als Transsexueller,  Schwarzer, offensichtlich Schwuler, als Bürger mit Kippa, Schläfenlocken oder Turban, nicht sehen lassen darf. Im Gegenteil, Leitkultur-Friedrich und Grünen-Nemesis Maggus gossen fleißig Benzin ins Feuer, indem sie das Pack darin bestätigten, Minderheiten auszugrenzen. Linke, Grüne, Sozis sind in Sachsen Freiwild

[….] Für die Häufung von Angriffen auf Politiker sei nicht zuletzt die "Verrohung des allgemeinen Tons" verantwortlich, meint [die Grünen-Politikerin Yvonne Mosler].

Einen solchen Anstieg beobachtet auch Steffen Kailitz, Privatdozent am Leipziger Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. Aber nicht nur das, es gebe auch einen gewissen Nachahmungseffekt: "Jede einzelne Gewalttat macht die nächste wahrscheinlicher", sagt Kailitz. Die Situation sei vergleichbar mit der in den 1990er-Jahren, als Rechtsextreme vermehrt Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verübten. Heute wie damals seien die Täter vor allem junge Männer. Geltungsdrang sei dabei ein auslösendes Motiv, besonders unter Rechtsextremen, die in den Taten ein "Ideal der Männlichkeit" verwirklicht sähen, so der Extremismusforscher. Aber auch für spontane Gewalttaten sei die Hemmschwelle gesunken.

"Die Justiz tritt dem mit allem Nachdruck entgegen und wird die Täter schnellstmöglich zur Verantwortung ziehen", sagte Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes (DRB), dem Evangelischen Pressedienst. Für Staatsanwaltschaften und Strafgerichte sei dies aber ein großer Kraftakt. Bei den Staatsanwaltschaften stapelten sich bundesweit inzwischen mehr als 900 000 unerledigte Fälle, und auch viele Strafgerichte arbeiteten am Limit, sodass Prozesse immer länger dauerten. [….]

(SZ, 08.05.2024)

Wenn ein Spitzenpolitiker wie der vor Gericht stehende Faschist Bernd Höcke seit Jahren permanent NS-Slogans zitiert und seine als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte Partei dennoch unangefochten stärkste Kraft in Thüringen zu werden scheint, motiviert das selbstverständlich immer mehr heimliche Nazis sich zu outen.

[….] In einem Weiterbildungskolleg in Würselen ist ein Lehrer mit einem Bild von Adolf Hitler auf dem Shirt im Unterricht erschienen. Der Lehrer darf vorerst nicht mehr unterrichten.

Ein Student des Kollegs in Würselen hatte die Polizei eingeschaltet. Noch am Tag der Anzeige hat die Bezirksregierung Köln den Lehrer vom Unterricht freigestellt. Auf Anfrage teilte die Bezirksregierung mit, dass die Schulleitung den Lehrer aus dem Unterricht geholt und nach Hause geschickt habe. Er darf die Schule bis auf weiteres nicht mehr betreten. Auch der Kontakt zu den Studierenden ist ihm untersagt. Die Bezirksregierung prüft nun ein Disziplinarverfahren gegen den Lehrer.  [….]

(WDR, 08.05.2024)

Die Dämme sind offen.

Ministerpräsident Söder reiste heute demonstrativ zur faschistischen Regierungschefin Italiens, tauschte private Handynummern aus und erklärte Melonis menschenhassenden Kurs zum Vorbild.

[…..] Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat nach einem Treffen mit der italienischen Regierungschefin Georgia Meloni eine große Übereinstimmung bei Fragen zur Energie, dem Verkehr und der Asylpolitik betont. [….]

Er sei sich mit ihr zudem einig gewesen, dass die Europäische Union das Verbrenner-Aus wieder zurücknehmen müsse. Der Plan neuer Gas- und Wasserstoffpipelines über die Alpen findet sich auch in einem aktuellen Aktionsplan von Bundesregierung und italienischer Regierung.

In der Asylpolitik lobte Söder erneut eine Flüchtlingsvereinbarung zwischen Italien und Albanien: Italien will zwei Flüchtlingslager auf albanischem Boden betreiben. Ziel ist, die Migration über das Mittelmeer nach Italien und damit in die EU einzudämmen. "Das könnte auch eine Lösung für ganz Europa sein", bekräftigte der bayerische Ministerpräsident.  [….]

(ZDF, 10.05.2024)

Donnerstag, 9. Mai 2024

Himmelfahrts-Kirche zwischen den Stühlen

Die Kirche will uns auch im Jahr 2024 glauben machen, Jesus, der einzige blauäugige und blonde Jude des Nahen Ostens, sei gekreuzigt, gestorben, nach drei Tagen wieder lebendig geworden, habe anschließend noch paar Wochen in Israel gechillt, bis er keinen Bock mehr hatte, woraufhin er seinen intrakorporalen Raketenantrieb zündete, um aus eigener Kraft in den Himmel zu sausen, wo er nun seit 2.000 Jahren zwischen den Wolken bei -70°C im Lendenschurz den von seinen Anhängern verübten Genoziden zusieht, ihnen eigentlich auch dabei helfen möchte, wie er immer wieder dadurch bekräftigt, daß er in seinem antiken Outfit auf amerikanischen Grillsandwiches erscheint, muss dann aber doch oben bleiben, weil irgendwer masturbiert und er daher gezwungen ist, zur Strafe Tsunamis und Wirbelstürme auszulösen.

Das Gute ist, daß diese Story so gar nicht absurd wirkt.

[…] Es sollte ein freudiger Tag für die Christenheit werden, doch die Himmelfahrt Jesu ist zum Desaster geraten: Wenige Sekunden nach dem Start in die himmlischen Gefilde ging der Messias plötzlich in Flammen auf und explodierte. Ersten Einschätzungen zufolge war Materialermüdung für den Unfall verantwortlich.

Zeugen zufolge lief nach dem Countdown zunächst alles nach Plan, bis kurz nach dem Start plötzlich unter der rechten Sandale Jesu eine Stichflamme hervortrat. Rund zwei Sekunden später kam es dann zur Explosion, deren Feuerball weithin sichtbar war.

Derzeit deutet alles auf einen Materialfehler hin – die Ausstattung des bekanntermaßen bescheidenen Messias war schon deutlich abgenutzt und in die Jahre gekommen. Die Mission Jesu gilt nun vorerst als gescheitert. Eigentlich hatte der 33-Jährige nach Verlassen der Erdatmosphäre innerhalb von 72 Stunden den Himmel erreichen sollen, wo wichtige Forschungsarbeiten für die Erlösung der Menschheit geplant waren.   […]

(dpo, 09.05.2024)

Selbstverständlich rennen solchen Gaga-Vereinen die Mitglieder davon. 600.000 zahlende Schäfchen verlor allein die EKD im Jahr 2023.

Selbst Pfarrer wissen um den Bullshit, den sie erzählen. Man kann nicht aufgeklärte, gebildete Menschen dazu bringen, sich das ewig gleiche Geseire wöchentlich in einer Fullfrontal-Präsentation anzutun.

[….] Der Sonntagsgottesdienst ist vom Aussterben bedroht. Ganz buchstäblich sogar: Als ich vor einigen Jahren noch Gemeindepfarrerin war und regelmäßig sonntagmorgens an der Kirchentür die Gottesdienstbesucher begrüßte, war fast jeder zweite in einem Alter, wo nicht davon auszugehen war, dass derjenige zum Gottesdienstbesuch auch in 10 Jahren noch in der Lage sein würde. Nur sehr vereinzelt sah ich am Sonntagmorgen um 10 Uhr Menschen in meinem Alter in der Kirche sitzen, es gibt quasi keinen Nachwuchs für das, was immer noch das Kernangebot von Kirche ist. Es stellt sich also die Frage, ob man damit – um der wenigen und Älteren willen – kleinlaut weitermachen sollte, bis keiner mehr kommt, oder ob es nicht würdevoller wäre, einen beherzten Schlussstrich zu ziehen und damit Zeit und Energie freizusetzen, die Kirchen so dringend brauchen. Ich bin entschieden für Letzteres. Der Sonntagsgottesdienst hat nicht nur an Zulauf, sondern auch an Strahlkraft verloren. Wer würde heute denn noch seine konfessionslose Nachbarin dorthin mitnehmen?  [….]

(Hanna Jacobs, 07.05.2024)

Die für mich nächste Kirche, nur 300m entfernt, ist ein 1928 fertig gestellter wenig einladender protestantischer Backsteinbau.

In die Gottesdienst möchte keiner mehr kommen, umso lauter nerven die Pastorinnen mit ihrer elenden Bimmelei. Offenkundig verfolgen sie den Ansatz, sich an den 99% Ungläubigen zu rächen, indem sie ihnen wenigstens versauen, Sonntags auszuschlafen. Es beruhigt mich als Anwohner zu wissen, daß der Kirchenkreis die Nerv-Kirche nebenan, genau wie beispielsweise die Kapelle in Hamburg-Todendorf als „nicht förderungswürdig“ ansieht. Ihr Zerfall wird nicht aufgehalten werden.

[….] Architekten schätzten die Sanierungskosten für die kommenden 15 Jahre auf rund 134.000 Euro. Geld, das die zuständige Kirchengemeinde Eichede allein hätte aufbringen müssen. Denn der Kirchenkreis Hamburg-Ost stufte die Kapelle im April 2016 als "nicht förderungswürdig" ein. In einem internen Papier teilte er damals seine 138 Kirchen und 140 Gemeindehäuser in A-, B- und C-Standorte ein. Die Gebäude der Kategorie C, immerhin 35 Prozent, müssen seitdem ohne Hilfe unterhalten werden.

Der Kirchengemeinderat Eichede beschloss daraufhin im Oktober 2016, die Kapelle in Todendorf zu entwidmen. Vorausgegangen seien "viele schlaflose Nächte", betont Pastorin Schumacher bei der Abschiedszeremonie. [….] Die Todendorfer akzeptierten den Beschluss widerstandslos – auch zur Überraschung von Susanne Schumacher. "Ich hatte damit gerechnet, dass sich eine Interessengruppe bildet, die für den Erhalt der Kirche kämpft", sagt sie. "Aber das war nicht der Fall." Zu einem Informationsabend über die Zukunft des Gebäudes seien nur 35 Kirchenmitglieder gekommen – von 2500. So viele Menschen gehören der Kirchengemeinde Eichede an, die für Todendorf und sieben weitere Dörfer zuständig ist. "Ich habe das als Zeichen gewertet, dass ein Erhalt der Kirche nicht gewollt ist", sagt sie. [….]

(Janina Dietrich, Abendblatt, 20.01.18)

Die Kategorie-C-Pfarrerin meiner Nachbarschaft ist ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht macht und die Situation verschlimmert.

Manisch postet sie in regionalen Social-Media-Gruppen Einladungen zu Kirchenveranstaltungen, bei denen sie ihren Verein als besonders migrantenfreundlich und besonders schwulenfreundlich präsentiert.

Eine heikle Angelegenheit, bedenkt man, wie die Kirche 2.000 Jahre genau das Gegenteil dessen vertrat.

Der Pastorin fehlt allerdings jegliches Fingerspitzengefühl. Sie ist sie völlig überrascht vom Widerspruch in den Sozialen Medien und quiekt im AfD-Opfer-Modus, man dürfe ja nichts mehr sagen, werde mundtot gemacht und erfahre Pöbelei. Wer ihr nicht zustimmt, sei ein „Troll“.

[….] Es ist nun einmal Fakt, das für Christen das sog. Wort Gottes gilt. Und es steht recht klar geschrieben, was „der Herr“ über queere Menschen angeblich denkt. Da können sie noch so viel anbiedernde Folklore veranstalten. Das Problem liegt im Kern dieser Religionslehre und als freier Mensch sollte man die Kirche meiden. Plus der ganzen Sauereien die kirchenintern immer noch nicht angemessen aufgearbeitet sind. Wenn Sie diese Fakten als Pöbelei verunglimpfen wollen, sagt das viel über Sie selbst aus.  [….] "Gott ist queer" - Das ist an Anbiederung, Heuchelei und Bigotterie nicht zu übertreffen, wie man Ihnen hier ja jetzt recht ausführlich dargelegt hat. Gut, dass diese "Geisteshaltung" immer weniger Anklang in der Gesellschaft findet. Nur schade, dass ich Ihren Verein trotzdem weiter mitfinanzieren muss, obwohl dies bereits seit 1919 gegen die erklärte Verfassung verstößt. [….]

(PW, auf FB, 05.05.2024)

[….]  "Don't feed the troll"? Ehrlich? Das ist die lapidare Antwort einer PFARRERIN, wenn es u.a. um das Thema der Tausenden von durch evangelische Pfarrer missbrauchte Kinder geht?

Haben Sie überhaupt kein Schamgefühl? Da läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Kein Wunder, daß Ihnen die Mitglieder in Scharen wegrennen! […] Also rein menschlich bedauere ich es, wie Sie sich gerade reinreiten mit der unangebrachten viktimologischen Schwurbelhaltung ("hu, so viel Häme, man darf ja nichts mehr sagen, man wird mundtot gemacht,..") und das ausgerechnet aus der Perspektive der seit Jahrhunderten mächtigsten und reichsten Organisation, die IMMER auf der falschen Seite der Geschichte stand und verbissen gegen Bürgerrechte kämpfte.

Alle Freiheiten, von Frauenwahlrecht über die Erlaubnis von gemischt konfessionellen Ehen, das Recht auf gewaltfreie Erziehung, die Ächtung von Sklaverei und Folter, Schwulenrechte, Transrechte, Kinderrechte, Abtreibungsrechte, etc pp mussten GEGEN DEN ERBITTERTEN WIDERSTAND der Kirchen erkämpft werden.

Die Kirchen sind die Täterorganisationen, die unendliche Schuld gegenüber Frauen, Kinder, Juden und Schwulen auf sich geladen hat! Meine Oma wurde als protestantisches Kind in Hamburg noch regelmäßig von dem Pfarrer verprügelt, weil sie LINKSHÄNDERIN war und nicht "die Hand des Teufels" zum Schreiben benutzen sollte! Und SIE jammern als Pfarrerin rum, dass SIE schlecht behandelt werden, wenn einer auf FB kommentiert??? Und bezeichnen mich als TROLL?

Kann man sich nicht ausdenken.

Aber als Atheist freue ich mich natürlich über Kirchenvertreter wie Sie, weil so auch die EKD umso schneller marginalisiert wird.

Also machen Sie gern weiter so!  [….]

(Ego, 05.05.2024)

Die Anbiederung an den vermeidlich linken, queeren Zeitgeist misslingt also dramatisch, zumal sich gerade auch die Evangelische Kirche massiv der Aufklärung des sexuellen Kindesmissbrauchs durch ihre Geistlichen verweigert.

Noch unglaubwürdiger wird sie aber durch ihr Rumeiern beim Thema AfD. Eierseits will sie sich schon irgendwie öffentlich von den Nazis distanzieren, die Migranten und rotgrüne Wahlkämpfer überfallen, verprügeln, töten.

Andererseits war man die wichtigste Unterstützerin Adolf Hitlers, lieferte ihm in der Person Martin Luther die antisemitische Blaupause.

Und so wirbt die sächsische Diakonie um Verständnis für ihre AfD-Mitarbeiter.

Man kann sich denken, wie das Schmusen mit der AfD bei den Migranten und Queeren ankommt, um die die Hamburger Diakonie wirbt.

Die AfD-Großsprecher haben allerdings ihrerseits die Geduld mit beiden deutschen Kirchen verloren. Und so kommt es heute zu einem Kirchenaustritts-Hufeisen zwischen dem brauen Troll David Berger und mir.

Der schwule und radikal homophobe Berger verdammt die schwulenfeindliche Kirche für zu viel Schwulenfreundlichkeit.

[….] Daß die einzige ernst zu nehmende Oppositionspartei Deutschlands – die AfD – einem ständigen hetzerischen und diskriminierenden Dauerbeschuß durch die anderen Parteien und die Mainstreammedien ausgesetzt ist, versetzt viele Bürger in große Sorge um den Zustand unserer Demokratie. Daß sich die Kirchen dieses Treiben zu eigen machen, macht fassungslos.

So hatten doch auf der diesjährigen Frühjahrskonferenz in Augsburg die deutschen Bischöfe einstimmig eine Erklärung verabschiedet, wonach ein Christ die AfD nicht wählen könne. Ein freier Christenmensch braucht eine solch unbegründete und arrogante Bevormundung in Bezug auf sein Wahlverhalten nicht. [….] Die AfD ist eine demokratisch legitime Partei in der Parteienlandschaft der Bundesrepublik. [….] Wer aber grundsätzlich wie die deutschen Bischöfe nicht zulassen will, daß man sie wählt, ist kein Demokrat. Und was nun Rüdiger Schuch von der evangelischen Kirche (keine AfDler in der Diakonie) und der BdKJ von der katholischen Kirche (keine Sternsinger für AfDler) von sich geben, hat mit Kirche nicht mehr das Geringste zu tun, sondern ist nach dem Journalisten Harald Martenstein menschenfeindlich und zutiefst widerwärtig. [….] Denn man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß innerhalb dieser Behördenkirche, staatlicherseits gut alimentiert, die Lust am eigenen Untergang geradezu zelebriert wird: Weihrauch bei der Feier der eigenen Bedeutungslosigkeit, Unterwürfigkeit unter die Plausibilitäten der Gesellschaft als Rechtfertigung für kirchliche Wichtigkeit, also perverser Masochismus in religiösem Gewand, der den Herrschenden gefällt. Sie[….]

Aus der Behördenkirche austreten!  [….]

(PP, 09.05.2024)

Man sieht wieder einmal, zu welchen Absurditäten es führt, die gewalttätige, hochverräterische Nazi-Partei AfD nicht zu verbieten.

Nun kann sie sich als „legitime Partei“ selbst beweihräuchern.

Mittwoch, 8. Mai 2024

Personalprobleme – Teil II

Die Constitution of the United States, das deutsche Grundgesetz, das britische Westminster-System, oder die französische Constitution de la Cinquième République muten im Social Media Zeitalter partiell altertümlich an, haben ihre echten Schwächen, an die noch niemand bei der Verabschiedung denken konnte.

Dennoch sind es brauchbare Grundlagen, um demokratisch zu regieren – wenn auch der älteste Text, nämlich der US-Amerikanische von 1787, ein bißchen sehr angestaubt ist und Wahlergebnisse grob verfälscht.

Die extrem mächtigen US-Senatoren, 100 an der Zahl, haben jeder exakt dasselbe Stimmrecht. Aber ein Senator aus Kalifornien repräsentiert fast 20 Millionen US-Bürger, ein Senator aus Wyoming weniger als 300.000 Menschen.

Da müsste längst nachjustiert werden und dem gewaltigen Westküstenbundestaat ein paar mehr Senatoren zugestanden werden.

Es ist vertretbar, ähnlich wie im Bundesrat, die Stimmrechte der Länder nicht linear and die Bevölkerungszahl anzupassen, um die regionalen Eigenheiten der dünnbesiedelten, kleinen Länder stärker zu betonen. So wie im EU-Parlament auch.

Dort hat Deutschland als bevölkerungsreichtes Land auch die meisten Sitze, nämlich 96, aber weniger, als Berlin rechnerisch zustünden, so daß Luxemburg, Malta oder Zypern nicht ganz untergehen.

Aber für gleichmächtige Menschen, wie im US-Senat, mal 20 Millionen, mal nur 300.000 Bewohner zu benötigen, verzerrt den Willen des Volkes allzu sehr.

Es ist darüber hinaus, mit wohlwollenden Parlamentariern, in der Praxis möglich, verfassungsrechtliche Schwächen auszugleichen, indem die 96 deutschen EU-Parlamentarier ein offenes Ohr für die Sorgen ihrer Kollegen aus sehr kleinen Ländern haben.

US-Senatoren aus Wyoming könnten gegenüber ihren kalifornischen Kollegen etwas kompromissbereiter auftreten und damit anerkennen, für eine viel kleinere Zahl von Wählern zu stehen.

Das formuliere ich wohlweislich im Konjunktiv; da in den USA des Jahres 2024 gar keine Kompromisse möglich sind und insbesondere die ultrakonservativen Trumpidioten aus den kleinen „Red States“ gar nicht daran denken, reale Mehrheiten zu berücksichtigen.

Problematisch ist dabei das Vorwahlsystem in einem Zweiparteien-Staat mit Mehrheitswahlrecht.

Da fallen kleinen Minderheiten in winzigen Wahlbezirken entscheidende „Swingstimmen“ zu, die politisch von enormer Bedeutung sind, während beispielsweise meine Stimme  - als registrierter Demokrat im riesigen deep blue state New York, de facto irrelevant ist. Bei den Präsidentschaftswahlen gehen mit absoluter Sicherheit alle 28 New Yorker Stimmen des Electoral College an die Demokraten; völlig irrelevant, wie ich abstimme. Das ist schon frustrierend, wenn wenigstens die Partei siegt, die ich auch gewählt hätte. Aber wie übel wäre es erst, wenn ich beispielsweise in Dallas oder Salt Lake City gemeldet wäre? Dann könnte ich mein Leben lang so viel wählen, wie ich will und die Demokraten erhielten immer genau NULL Stimmen. Es ist bereits in Stein gemeißelt, daß Trump alle 40 Texanischen und alle sechs Stimmen aus Utah erhält.

Dennoch; Länder können eigentlich über Dekaden, oder gar Jahrhunderte, recht gut mit so einem System leben, solange die Führungspersonen nicht völlig irre sind. Kompromissbereit agieren und nicht ihr persönliches Wohl immer über das der Allgemeinheit stellen.

Das ist unglücklicherweise aber immer weniger der Fall. Trump zeigt es gerade am Beispiel des US-Justizsystems, das durchaus brauchbar ist, Jahrhunderte funktionierte, aber eben doch nicht ausgelegt ist für einen Extremisten, der pro Tag 250.000 Dollar für Anwälte ausgibt, jeden noch so absurden juristischen Winkelzug abzieht und aufgrund seiner Macht, seiner Milliarden und seiner Unterstützer, nicht von Richtern einzuhegen ist, so daß alle seine Prozesse endlos verzögert zur Farce werden. Allein im ersten Halbjahr 2013 kosteten Trumps Anwälte 40,2 Millionen Dollar. Dieses Jahr wird er locker die 100-Millionen-Dollar-Marke knacken, um seine Juristen zu bezahlen.

Das sind die Typen, die das US-System hervorbringt, an die aber 1787 garantiert niemand dachte, als die Verfassung zu Papier gebracht wurde.

Zurück zum Beispiel Wyoming, dem erzkonservativen Zwerg-Bundestaat, der im US-Kongress lange von der erzkonservativen Liz Cheney aus der legendär konservativen Republikanerfamilie des GWB-Vize Dick Cheney, vertreten wurde.

2023 flog sie aber aus dem Parlament, weil sie den sicheren red seat während der Vorwahlen an die völlig irre Trump-Jüngerin Harriet Hageman verlor. Trump verfügte es so aus dem fernen Mar A Lago. Cheney hatte keine Chance mehr, sich überhaupt zur Wahl zu stellen.

Hageman, 61, denkt gar nicht daran, alle Wähler ihres Staates zu repräsentieren, wie es für einen Staat mit einem einzigen Kongresssitz notwendig wäre. Sie hat die Zeichen der Zeit erkannt, lügt wie gedruckt und kriecht tief in Trumps Hintern; die einzige Macht im GOP-Universum.

[….] Hageman war 2016 und 2020 Delegierte zur Republican National Convention, dem Parteitag der Republikanischen Partei. Bei der Republican National Convention 2016 stellte sie sich gegen den Kandidaten Donald Trump und für Ted Cruz. Trump sei nämlich Xenophob, Rassist und der schwächste Kandidat, den die Republikanische Partei aufstellen könne. Nachdem Trump jedoch die Präsidentschaftswahl 2016 gegen die Kandidatin der Demokratischen Partei Hillary Clinton gewann und Präsident wurde, unterstützte Hageman ihn bei der Republican National Convention 2020. In einem Interview mit den New York Times aus dem Jahre 2021 kommentierte sie diese Entscheidung damit, dass sie die Lügen der Demokraten und der Trumpkritiker in den Reihen der Republikaner nach dessen Präsidentschaft durchschaut habe. Trump sei nämlich der „beste Präsident ihres Lebens“ (englisch greatest president of my lifetime) gewesen.  […..] Diese Entwicklung beschreibt die Vanity Fair als charakteristisch für die Entwicklung der Republikanischen Partei zur Einmannpartei um Trump, obwohl sie ihn vorher eigentlich kritisierte. [….]

(Wikipedia)

Hageman erkannte ganz richtig, daß Widerspruch gegenüber Trump de facto unmöglich ist, weil man sonst seinen Posten verliert. Sie fügte sich, um weiter aufzusteigen. Schließlich braucht Trump bald einen VP-Kandidaten.

Die Harriet Hageman der Ampel heißt Christian Lindner.

Auch hier bieten Grundgesetz, Wahlergebnis und Koalitionsvertrag eigentlich eine Grundlage, um vernünftig zu regieren.

Der dunkle Fürst der Hepatitisgelben versteht aber die Begriffe Koalition und Kompromiss nicht. Er scheint als Vertreter einer in Rekordtempo schrumpfen Kleinstpartei unter der 5%-Hürde, hartnäckig der Realität entrückt zu sein. Er glaubt offenkundig, über eine absolute FDP-Mehrheit zu verfügen und damit nach Gutdünken allein die Politik mit seinen dubiosen Gaga-Vorstellungen bestimmen zu können: Viel mehr Geld für die Bundeswehr, keine Schulden, viel weniger Einnahmen durch großzügige Steuerstreichungen bei den Superreichen, vollständiges Abwürgen der Konjunktur durch Streichung aller staatlichen Investitionen und ABRAKADABRA füllen sich seine Finanzministerkassen von allein.

Der arme Irre begreift keine äußeren Zwänge. Nein, er herrscht nicht absolutistisch, sondern in einer Koalition aus drei Partnern. In dieser Konstellation hat er nicht nur zwei Parteien gegen sich, sondern er vertritt auch noch die mit Abstand kleinste Partei.

Wäre der Mann einen Hauch schlauer als Hagemann, verstünde er seine Aufgabe, als dem Allgemeinwohl dienliche Angelegenheit, wüßte, daß er mit seinen Mikro-Prozenten nur weniges durchsetzen kann und daß seine Dauerblockade allen Ampelparteien massiv schadet. Am meisten aber seiner Eigenen.

Mit jedem anderen Finanzminister könnte die deutsche Regierung gut funktionieren. Die Verfassung ist nicht das Problem, sondern die Verblödung des Urnenpöbels, der eine so offensichtlich unseriöse Flitzpiepe wie Lindner mit Vetomacht ins Parlament schickt.

[….] Absprachen zum Haushalt aufgekündigt [….] Lindner konterte nun, indem er ebenfalls eine Verabredung mit dem Kanzler aufkündigte: Er stoppte die Verabschiedung des neuen Rentenpakets im Kabinett und setzte die SPD damit seinerseits unter Druck. Für die Sozialdemokraten ist die Reform ein Prestigeobjekt.

Damit herrscht in der Regierung einmal mehr jenes Haushaltschaos, das Scholz nach den Erfahrungen des Vorjahres unbedingt hatte verhindern wollen. [….] Torpediert werden alle Einigungsversuche aber nun durch Lindners Veto gegen die Verabschiedung des Rentenpakets, das er vor einigen Wochen mit Heil selbst vorgestellt hatte. "Aufgrund hoher Anmeldungen für den Haushalt 2025 müssen aktuelle Vorhaben neu in den Gesamtkontext eingeordnet werden", hieß es im Umfeld des Ministers. Mit der Reform soll unter anderem festgeschrieben werden, dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2039 nicht unter 48 Prozent eines Durchschnittslohns fallen darf. [….] Lindners schlägt durch sein Veto gegen die Verabschiedung im Kabinett so zwei Fliegen mit einer Klappe: Er trifft die SPD an einer für sie empfindlichen Stelle und setzt sie im Etatstreit unter Druck. Zugleich kann er den eigenen Reihen signalisieren, dass beim Rentenpaket das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. [….]

(Claus Hulverscheidt, 08.05.2024)