Freitag, 13. Juli 2012

Erbärmlich, erbärmlich, erbärmlich!



Das Gute an der Penisvorhaut ist die öffentliche Debatte um selbige.
Seit langer Zeit haben mich Stellungnahmen zu einem Thema nicht mehr so überrascht. Üblicherweise kann man sehr gut vorher erahnen woher der Wind weht. 
Parteipolitische Meinungen sind absolut vorhersagbar.

Mich erstaunt der Mut des Landgerichts Köln dieses zwar juristisch offensichtlich ziemlich eindeutige, aber dennoch sehr Shitstorm-affine Urteil überhaupt zu sprechen. 

Mich erstaunt, daß ausgerechnet die angeblich den Bürgerrechten verpflichteten Grünen sich am deutlichsten und schnellsten aus der Deckung wagten. 
Klipp und klar sprechen sich Özdemir, Künast, Roth und Beck gegen das Kindeswohl aus. Eindeutig verlangen sie, daß Eltern straflos Körperverletzung an ihren Söhnen begehen dürfen.

Worum geht es dabei?

Unbeschnittene und Frauen sollten sich diese beiden Bilder genau ansehen.



Wikipedia

Um zu verstehen was da eigentlich abgeschnitten wird, verweise ich auf einen Vortrag von Prof. Ken McGrath aus Auckland.

Die zweite wichtige Funktion [der Vorhaut] ist ihre sensorische Funktion. Diese wurde im Laufe der letzten 15 Jahre sehr deutlich,—[seitdem] John Taylor und sein Team ihre Befunde [1996] veröffentlichten. Sie gelangten zu dieser Erkenntnis, obwohl Leute nicht darüber nachdachten, was sie eigentlich fühlten, sofern sie intakt waren – Ich für meinen Teil tat das nicht. Ich hab mich nicht hingesetzt und damit begonnen zu analysieren, was ich fühle. Aber das Mikroskop verrät uns, dass die Vorhaut eine bedeutende sensorische Funktion erfüllt. Ich denke, nein, ich bin der Überzeugung—dass die [Vorhaut] die höchste Konzentration an Nervenendungen des gesamten männlichen Körpers aufweist.
Folglich kann [die Vorhaut] nicht ignoriert werden; [Die Vorhaut] kann nicht einfach als ein einfaches Stück haut beschrieben werden.

Die Beschneidung entfernt rund 50% der Penishaut – unglücklicherweise gerade den wichtigsten Teil der Haut, das funktionale Ende, nicht den Anfang, wo es nichts ausmacht. [Die Beschneidung] entfernt mehr als 50% der sensorischen Nervenenden des Penis, weil sich diese im gefurchten Band und dem Frenularen Delta konzentrieren, die durch die Beschneidung automatisch zerstört werden. Es ist wahrscheinlich eher davon auszugehen, dass an die 75% bis 80% des sensorischen Gewebes [durch die Beschneidung] verloren gehen.
*Als Wachstumskegel bezeichnet man spezialisierte Vorderende eines Axons (lange Ausläufer einer Nervenzelle), mit dessen Hilfe dieses den Weg in sein Zielgebiet sucht
Die funktionale Folge [der Beschneidung] ist, dass der sensorische Input in das Rückenmark und bis in das Zentralnervensystem in großen Umfang reduziert wird:
Folglich hat der Mann nicht mehr allzu viel Gefühl, und viele beschnittene Männer wissen auch nicht wo ihr Orgasmus eigentlich ist– sie haben nicht ausreichend starke Empfindungen vor dem Orgasmus, um erkennen zu können, wie der Anstieg der Empfindungen voranschreitet, und viele dieser Männer werden von ihrem Orgasmus überrascht, mehr oder weniger.
[Normalerweise], werden die Schmerz- und Temperaturreize, –die sehr simplen und schützenden und eher unangenehmen Gefühle, die von der Eichel kommen, wenn sie sich in Ruhe befindet, durch die Stimulation der Vorhaut ausgeschaltet dank der inhibitorischer Interneurone im Rückenmark. In anderen Worten: Wenn erst eine ausreichend starke Kaskade von Reizen von der Vorhaut in das Rückenmark fließt, werden inhibitorische [hemmende] Interneorone aktiviert, welche den Reizinput von der Eichel ausschalten und begrenzen, sodass die Männer nichts mehr in ihrer Eichel fühlen, weil sie solche [Schmerzempfindungen beim Geschlechtsverkehr] auch nicht spüren wollen. Was geschieht dann beim beschnittenen Mann? Wenn der Orgasmus beginnt, und der verbleibende sensorische Input aus der [restlichen] Vorhaut nachlässt, reicht dieser natürlich nicht aus, und es gibt nicht mehr genug [Input aus der Vorhaut] um die Inhibition [die Hemmung] der Eichel aufrechtzuerhalten. [In Folge] will der Mann die sofortige Beendigung der Bewegung; [er] zieht sich entweder [aus seiner Partnerin] zurück oder, wenn [sein Penis] immer noch eingeführt ist, [erklärt er]: „Um Himmels willen,aufhören! Beweg dich nicht. Ich kann es nicht mehr aushalten!“
Dies ist ein sehr häufiges Phänomen bei beschnittenen Männern und es muss für ihre Partner niederschmetternd sein, plötzlich das unterbrechen zu müssen, was eigentlich der vergnüglichste Moment sein sollte.
(Ken McGrath, Professor für Pathologie an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Auckland University of Technology und Mitglied des New Zealand Institute of Medical Laboratory Scientist)

Mich erstaunt weiterhin, wie ein normalerweise bewundernswerter SZ-Co-Chefredakteur, der gemeinhin als „Edelfeder“ bezeichnet wird und vor seiner journalistischen Laufbahn als Oberstaatsanwalt und Richter gearbeitet hat, folgende Sätze schreiben kann:

Es ist verständlich, wenn Geistliche der beiden Religionen protestieren, wenn sie sich, ihren Glauben und ihre Riten verhöhnt fühlen. Das Urteil ordnet Beschneidungen ein in eine Kategorie, zu der auch Prügel gehören. Das beschnittene Kind wird dem verprügelten gleichgestellt. Prügel sind Herabwürdigung, sie machen das Kind zum Objekt des Zorns des Prüglers. Beschneidung ist Würdigung: Sie macht das Kind zum Subjekt des Glaubens, bedeutet den Eintritt in die Gemeinschaft. [….]
Das Strafrecht muss sich hier bescheiden und schweigen - auch wenn scheinbar die Tatbestandsmerkmale passen. Das Kölner Urteil war vorlaut. Der laute Protest ist berechtigt.
(SZ Heribert Prantl, 13.07.12)

Auch Du, mein Sohn Heribert?

Dabei scheint doch juristisch recht klar zu sein, wie das unfreiwillige Herumschneiden an einem Körperteil eines Wehrlosen zu bewerten ist.

Was [die Kölner Richter]  verurteilen, ist allein die empathielose Bagatellisierung dessen, was man wehrlosen Kindern mit der Beschneidung antut, und die darin liegende Missachtung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. […]  Manche Juden und Muslime nehmen durchaus am Leben ihrer Gemeinde teil, scheuen aber die Vorhautamputation und wollen sie der späteren Entscheidung ihres Sohnes überlassen. Der Geistliche wird die religiöse Betreuung des Kindes gewiss nicht verweigern. […]  Die Richter und die Verteidiger des Kölner Urteils haben nichts dagegen, dass ein »Initiationsritus« die religiöse Erziehung einleitet. Eine symbolische Beschneidung, etwa durch Berührung der Vorhaut mit einem Messer, würden sie genauso gutheißen wie das Übergießen mit Wasser bei der Kindstaufe. […]  Was die Religionsfreiheit betrifft, so stellt der Artikel 140 des Grundgesetzes klar, dass »Rechte und Pflichten ... durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt« werden. Das bedeutet: Die Ausübung unserer Religion erlaubt uns auch nicht den kleinsten Eingriff in fremde Rechte und entbindet uns von keiner Rechtspflicht. Darum begeht das Delikt der unterlassenen Hilfeleistung, wer fromm seinen Rosenkranz weiterbetet, obwohl ein Unglücksfall seine Hilfe erforderlich macht. […]  Den »beispiellosen Angriff auf die Identität religiöser Familien«, den Spaemann behauptet, hätte das Landgericht allenfalls dann unternommen, wenn es mit seinem Urteil der Freiheit der Eltern, ihr Kind beschneiden zu lassen, gegen Gesetz und Recht Grenzen gezogen hätte. […]  Wenn alle Religionen gemeinsam sich gegen den Richterspruch wenden, kommt bei mir der Verdacht auf, sie verteidigten ihren eigenen Machtbereich. […]   »Die Entfernung der Vorhaut«, so zum Beispiel Matthias Franz, Facharzt für psychosomatische Medizin an der Universität Düsseldorf, »stellt ein Trauma dar und kann zu erheblichen körperlichen, sexuellen oder psychischen Komplikationen und Leidenszuständen bis ins Erwachsenenalter führen.«  Nichts gegen die Beschneidung! Nur verlangen Vernunft und geltendes Recht, dass man sie auf medizinisch notwendige Fälle beschränkt und den Betroffenen selbst entscheiden lässt, sobald er dies eigenverantwortlich kann. Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit. So sagt es das Grundgesetz, verbindlich für uns alle, die wir in Deutschland  leben – unabhängig von Religion und Weltanschauung.
(Rolf Dietrich Herzberg, emeritierter Professor für Strafrecht an der Ruhr-Universität Bochum. Die ZEIT, 12.07.12)

Was mich weiterhin erstaunte, war die neue Definition des Judentums.
 Es ist bekanntlich gar nicht einfach zu definieren, wer ein Jude ist.
 Gemeinhin wird „jüdisch“ als religionsanzeigendes Adjektiv benutzt. So wie „christlich“ oder „muslimisch“.

Eigenartigerweise gibt es aber „ungläubige Juden“.
 Ich erinnere an Marcel Reich-Ranicki, der immer mal wieder betont hat, daß er mit Gott absolut nichts anfangen könne. Spätestens seit seinen Erfahrungen in der Nazizeit ist er 100%iger Atheist.
 Er versteht sich aber dennoch „zweifellos als Jude.“
Atheistische Christen gibt es hingegen nicht. 

Die allgemein akzeptierte Definition eines Juden ist das Vorhandensein einer jüdischen Mutter.
Nun erfahre ich plötzlich, daß das Vorhaut-Abschneiden überhaupt das allerwichtigste Merkmal des Judentums sein soll.
 Ich frage mich was die Myriaden orthodoxen Juden in den Jeschiwas eigentlich den ganzen Tag mit dem Oberkörper wippend und Thora und Talmud-schwenkend zu diskutieren haben!

Jude sein ist vorhautlos zu sein und nichts anderes.

Bis auf die 80% der Juden in Deutschland, welche nicht beschnitten sind.

Die Beschneidung ist kein Brauch. Sie ist Kern der jüdischen Identität – unentbehrliches Fundament des Glaubens.

Michael Fürst, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hannover, bekundete im Sender Phoenix bockig, daß sich seine Gemeindemitglieder „keinesfalls“ an das Beschneidungsverbot halten würden und wies darauf hin, daß die unbeschnittenen erwachsenen Juden sich auch beschneiden lassen müßten.

Das ist Logik, die begeistert:

Juden, die gar keine Juden sind - schließlich ist man nur Jude, wenn man den Bund mit Jahwe erfüllt und sich am 8. Tag des Lebens beschneiden läßt  - sollen laut Fürst das tun, was er gleichzeitig vehement als unmöglich definiert - nämlich die nachträgliche Beschneidung im Erwachsenenalter . Dann werden sie durch eine nicht mögliche Initiation zu dem was sie schon sind - nämlich Juden.

 Schließlich erstaunte mich, daß Rabbiner und Vertreter der Jüdischen Gemeinden derart überziehen, daß sie mit Auswanderung drohen und den ultimativen Holocaustvergleich auspacken.

Die Konferenz Europäischer Rabbiner hat das Kölner Urteil zur Beschneidung als schwersten Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust bezeichnet: „Ein Verbot der Beschneidung stellt die Existenz der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland infrage“, sagte ihr Präsident Pinchas Goldschmidt. „Sollte das Urteil Bestand haben, sehe ich für die Juden in Deutschland keine Zukunft.“   Goldschmidt verwies auf das Schächtverbot der Nationalsozialisten. Es sei ein Zeichen für viele Juden gewesen, „wir müssen weg aus Deutschland“, sagte der Rabbiner.   Ein Beschneidungsverbot wäre angesichts der Bedeutung dieses Brauchs ein viel stärkeres Zeichen.

Eine gewaltige Lobbymaschine wird in Bewegung gesetzt.

Jüdische Organisationen bereiten eine öffentliche Kampagne gegen das Urteil des Kölner Landgerichts vor, mit dem Beschneidungen von Jungen als strafbare Körperverletzung gewertet werden. Das berichtet die FTD. Spender aus Europa, den USA und aus Israel haben bereits Millionen in einen Fonds eingezahlt, der vor allem Lobbyisten und Anwälte finanzieren soll.  Nach Informationen der FTD hat allein der in der Schweiz lebende jüdische Multimillionär Edi Gast 10 Mio. Euro gezahlt, um gegen das Beschneidungsurteil vorzugehen.

Guido kuscht natürlich sofort.

Ihn habe in den vergangenen Tagen "manche ernste Kritik am Kölner Beschneidungsurteil erreicht", sagte Westerwelle der FTD. "Es muss klar bleiben, dass in Deutschland die freie Religionsausübung geschützt ist.
(FTD 12.07.12)

Nicht ganz so erstaunlich finde ich hingegen das jetzt schon erfolgte Allparteien-Einknicken vor den tobenden Religioten mehrerer Konfessionen.

Daß die 100% christliche Regierungskoalition nicht das Rückgrat haben würde das deutsche Recht gegen die Attacken der Alttestamentarischen Kinderquäler zu verteidigen, war zu erwarten. 
Daß sich die zunehmend christlich-fundamentalistische SPD dem anschließt, ist sehr bedauerlich, war aber ebenfalls leider vorhersehbar. 
Von den Grünen war schon die Rede.

Es passt nur zu gut, daß so eine Meldung an einem Freitag, den 13. publiziert wird:

Schwarz-Gelb will rasch dafür sorgen, dass die rituellen Beschneidungen straffrei gestellt werden. Die Bundesregierung will schnell Rechtssicherheit für religiöse Beschneidungen schaffen. "Wir wissen, da ist eine zügige Lösung notwendig, da kann nichts auf die lange Bank geschoben werden", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. "Verantwortungsvoll durchgeführte Beschneidungen müssen in diesem Land straffrei möglich sein." Wie dies geschehen könne, werde derzeit mit den zuständigen Ressorts besprochen.
Seibert und eine Sprecherin des Justizministeriums wollten sich aber nicht festlegen, ob es zu einem klarstellenden Gesetz kommen wird, wie es von SPD und Grünen gefordert wird.

Realität und Satire verschmelzen mal wieder. Ich glaube, es war auf Facebook, wo ich diesen Satz fand.

Auch eine "verantwortungsvoll durchgeführte Körperverletzung" bleibt eine Körperverletzung, welche nun einmal strafbar ist. Für "Sex mit Kindern" gibt es ja auch keine Ausnahme, auch dann nicht, wenn er "verantwortungsvoll" durchgeführt wird.

Das Grundgesetz ist neuerdings also irrelevant in Deutschland. Wichtiger ist jetzt das Alte Testament.

Die Bibel (Genesis 17, 10-14) schreibt Juden vor, ihren Sohn am achten Tag beschneiden zu lassen.

Ich bin gespannt, wann der überzeugte und konvertierte Katholik und Regierungssprecher Seibert weitere Genesis-Geltung garantiert. 

Daß also auch Sklaven beschnitten werden müssen und die Unbeschnittenen ausgerottet gehören.
        
10 Das ist mein Bund zwischen mir und euch samt deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: Alles, was männlich ist unter euch, muss beschnitten werden.
11 Am Fleisch eurer Vorhaut müsst ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch.
12 Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in jeder eurer Generationen, seien sie im Haus geboren oder um Geld von irgendeinem Fremden erworben, der nicht von dir abstammt.
13 Beschnitten muss sein der in deinem Haus Geborene und der um Geld Erworbene. So soll mein Bund, dessen Zeichen ihr an eurem Fleisch tragt, ein ewiger Bund sein.
14 Ein Unbeschnittener, eine männliche Person, die am Fleisch ihrer Vorhaut nicht beschnitten ist, soll aus ihrem Stammesverband ausgemerzt werden. Er hat meinen Bund gebrochen
 Genisis, 17