Montag, 15. Juni 2015

Showdown



Diese Machosprüche des Grundschullehrers Sigmar Gabriel aus Goslar nerven mich aber richtig! Und den Unsinn haut er auch noch über die hetzerische BILD-Zeitung raus:

„Die Spieltheoretiker der griechischen Regierung sind gerade dabei, die Zukunft ihres Landes zu verzocken. (…) Überall in Europa wächst die Stimmung ES REICHT“

Gabriel und Schäuble könnten froh sein, wenn sie auch nur einen Funken des finanzpolitischen Verstandes des international renommierten Ökonomie-Professors Varoufakis hätten.

Das ganze Griechenland-Drama könnte seit Jahren vorbei sein, wenn Merkel nicht so hartnäckig von Anfang an rein ideologische und unrealistische Politik gemacht hätte.
Ihr ging es immer darum ihre konservative Basis zu umschmeicheln, deutsche Waffenschmieden und steinreiche Banker zu schützen.
All das Theater für eine vergleichsweise kleine Schuldensumme, die Merkel nicht den Bankern überlassen wollte, die sich genau mit diesen Risiken ihre Renditen finanzieren.
Wie üblich sollten Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden.


Durch Merkels kontraproduktives Austeritätsdiktat wurde Athen das Genick gebrochen.
Viel sinnvoller wäre es gewesen schon vor Jahren einmal die Schulden abzuschreiben. Die Banken, die über Jahrzehnte prächtig mit den enormen Zinsen auf griechische Staatsanleihen verdienten, hätten es überlebt.
Wie hieß noch mal dieses andere Land, das einst so fürchterlich in der ökonomischen Misere steckte, daß die anderen ihm die Schulden erließen, um wieder auf die Beine zu kommen?
Ach ja: Deutschland. Nach 1945.

Nach Kriegsende war Deutschland wirtschaftlich so am Boden, daß von 1948 bis 1952 das European Recovery Program (bekannt als „Marshallplan“) in Kraft trat. In diesen Vier Jahren pumpten allein die USA nach heutigem Wert rund 130 Milliarden Dollar über den Atlantik.
Deutschland wurde das gewährt, was man heute einen „Schuldenschnitt“ nennt.
Bis heute hat die Bundesrepublik Deutschland zwangseingetriebene Kredite aus Griechenland nicht zurückgezahlt.

Aber durch die Gaga-Politik aus dem Kanzleramt, der EU und dem IWF wurde Athen stattdessen gezwungen immerfort neue Kredite zu erbetteln, um damit alte Kredite abzuzahlen.
In dieser Merkelschen Schildbürgerspirale entwickelte sich das Grexitoklesschwert, welches selbstverständlich dafür sorgte, daß Investoren, Banken und Privatleute ihr Geld kontinuierlich aus Griechenland abzogen.
Könnte ja sein, daß es dort eines Tages keinen Euro mehr gibt.
So ging der Hellas-Wirtschaft endgültig die Luft aus.

Der Bundeswirtschaftsminister bedient nun in Europas größtem Schmierenblatt – man erinnere sich an die BILD-Überschrift „IHR GRIECHT NIX!“ – dumpfe ausländerfeindliche Emotionen, während ausgerechnet Claudia Roth ihm unemotional Nachhilfe in Ökonomie geben muß.

Es geht um die drohende weitere Verarmung Griechenlands. Es geht aber auch um das Projekt Europa und da muss auch die andere Verhandlungsseite doch absolut im Blick haben. Denn was würde denn passieren, wenn tatsächlich Griechenland, wenn der Grexit kommen würde? Es würde für Italien und Spanien eine Abwärtsspirale bedeuten, es würden Spekulationen gegen den Euro losgehen, es wäre unklare Folgen für das Weltfinanzsystem, ein unkalkulierbares Risiko für die Weltwirtschaft. Und übrigens: Ein Grexit würde Deutschland am Ende viel teurer kommen, als jetzt Griechenland zu retten.
Ich kann mich gut erinnern, dass Frau Merkel einst 2010 gesagt hat, scheitert der Euro, scheitert Europa. Der Euro steht für die europäische Idee und würde es jetzt scheitern, wäre das tatsächlich der erste Schritt Richtung Scheitern des Projekts Europa und es wäre zum ersten Mal seit 1950, dass sich Europa nicht weiter in Richtung einer Integration entwickelt, sondern in Richtung eines Auseinanderbrechens. Brutal gefährlich, ein verheerendes Signal in einer Zeit, wo die Welt um Europa in Flammen steht.

Fast wünscht man sich Helmut Kohl zurück, weil man sich einbildet noch nicht mal er hätte sich so Ökonomie- und Europa-feindlich verhalten.
Was reitet unsere Bundesregierung bloß?
Offenbar agieren sie völlig von den Tatsachen entrückt; nur noch der BILD-lesenden Mehrheit schielend.

Geht der Erste, gehen viele
Wer Griechenland rettet, hilft ganz Europa. Wer Griechenland aufgibt, gefährdet den Fortbestand der Europäischen Union.
Die Europäische Union wird seit einigen Jahren, genauer seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2009, permanent mit immer neuen Krisen konfrontiert. […] Die EU vermag darauf meist nicht angemessen zu reagieren. […] Diese offensichtliche Unfähigkeit, die ein Ergebnis nicht von "zu viel Europa", sondern gerade im Gegenteil von "zu wenig Europa" ist, hat allerdings eine Konsequenz: Sie verschärft die innere Legitimationskrise der Europäischen Union. […] Es kann in den kommenden Monaten aber noch wesentlich härter kommen für die EU. Denn bereits heute ist absehbar, dass es innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre zwei weitere dramatische Zuspitzungen geben wird: das britische Referendum über die weitere Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU sowie die Parlamentswahlen in Spanien im kommenden Herbst, die durchaus zu einem griechischen Ergebnis führen können. […]  Damit wäre plötzlich die gesamte Existenz der EU sehr ernsthaft bedroht. Denn sollte dieser schlimmste Fall von Ereignissen eintreten, so wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einem sich daran anschließenden Erdrutsch zu rechnen: inklusive weiterer Austritte aus der EU.
[…] Sechzig Jahre erfolgreiche europäische Integrationsgeschichte könnte dadurch infrage gestellt werden, das gesamte europäische Projekt könnte zerfallen. Denn in den meisten Mitgliedstaaten würden alle euroskeptischen und nationalistischen Kräfte den Austritt ihres Landes aus der EU oder gar deren Zerstörung ins Zentrum der jeweiligen nationalen Wahlen rücken - und dies mit wachsender Aussicht auf Erfolg.
[…] Die Verhinderung des Grexits muss aus europäischer Sicht (und nicht nur aus griechischer) eindeutig prioritär sein. […]

Wir müssen wohl alle hoffen, daß Merkel nach zehnjähriger Kanzlerschaft wie ihr großes Vorbild Helmut Kohl schon an ihre Rolle in den Geschichtsbüchern denkt und hoffentlich doch nicht als diejenige dastehen will, die es hauptsächlich zu verantworten hat, daß das größte und bedeutendste Friedensprojekt des Planeten zertrümmert wird, weil ein paar raffgierige Banker einen so großen Einfluss auf die Kanzlerin haben, daß sie jeden politischen Anstand fahren lässt.

Mit von der BILD gefälschten Zahlen agieren unterdessen Top-CDU-Politiker bei Jauch und echauffieren sich gegen Tsipras und Varoufakis.

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach empört sich bei Günther Jauch über das niedrige Renteneintrittsalter in Griechenland, das angeblich bei 56 Jahren liegen soll.  Die […] Bild-Zeitung hatte die falsche Zahl in der vergangenen Woche in mehreren Artikeln verbreitet.   Das Watchblog Bildblog und Medienjournalist Stefan Niggemeier deckten den Fehler auf und stellten klar, dass sich das Renteneintrittsalter in Deutschland und Griechenland kaum unterscheidet.

Dabei sind die so verachteten Aussagen der griechischen Spitzenpolitiker zwar deutlich, aber vor allem auch eins: Nämlich schlicht und ergreifend völlig richtig:

[….] Für Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras wären Rentenkürzungen aber offenbar eine Grenzüberschreitung. Er kritisierte erneut das Beharren der internationalen Geldgeber auf weitere Kürzungen. Hinter der Forderung könne man nur politische Absichten erkennen, zitierte die linksgerichtete Athener Zeitung Efimerída ton Syntaktón den Politiker. Griechenland werde dennoch "geduldig warten", bis die Gläubiger "realistischere" Forderungen stellten, sagte Tsipras weiter. "Wir werden geduldig warten, bis die Institutionen in der Realität ankommen." Die Institutionen, das sind die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF), früher mal bekannt als Troika. Diesen warf er "fünf Jahre Plünderei" vor.
Ähnlich äußert sich Finanzminister Yanis Varoufakis. Athen habe den Gläubigern mehrere alternative Vorschläge für Sparmaßnahmen gemacht. Diese aber bestünden weiter auf Rentenkürzungen. Sein Land werde dem nie zustimmen. Griechenland habe den Institutionen gesagt: "bis hier und keinen Schritt weiter", hieß es.
Varoufakis brachte erneut einen Schuldenerlass ins Gespräch. Er würde sofort Ja sagen und auf weitere Hilfsgelder verzichten, wenn die internationalen Gläubiger einen Schuldenschnitt anbieten würden, sagte er der Bild-Zeitung. Sein Land brauche eine Umschuldung. "Nur so können wir die Rückzahlung von so viel Schulden wie möglich garantieren und auch leisten."
Trotz der festgefahrenen Gespräche könne eine Einigung "in einer Nacht erreicht" werden, sagte Varoufakis weiter. "Aber: Die Kanzlerin muss dabei sein", fügte er mit Blick auf Bundeskanzlerin Angela Merkel hinzu. Nach dem gescheiterten Vermittlungsversuch sieht Varoufakis die Geldgeber am Zug: "Endlich sind wir an den Punkt gelangt, wo die Partner Entscheidungen treffen müssen", sagte Varoufakis dem Sender der regierenden Linkspartei Syriza Sto Kokkino. [….]

Es wäre ganz schön wenn Bosbach, Schäuble, Gabriel und Co endlich mal ein paar Fakten zur Kenntnis nähmen.
Hätten sich diese irren Chauvis nicht seit Jahren gegen eine unvermeidliche Realität gestemmt, wäre die jetzige Misere nie so schlimm geworden.
Griechenland wird wie so viele andere Länder seine Schulden nie zurückzahlen.
Willkommen in der Realität! Deutschland und die USA sitzen auf noch viel gewaltigeren Schuldenbergen und auch dieser werden garantiert nie abgezahlt werden.

Bekanntlich hat Deutschland aber auch schon wieder weit über zwei Billionen neue Schulden angehäuft.
Es gibt verschiedene Berechnungen; meist wird auf die des Bundes der Steuerzahler verwiesen.
 Demnach wachsen Deutschlands Schulden PRO SEKUNDE um 175 Euro und betragen derzeit rund 2.050 Milliarden Euro = 2.050.000 Millionen Euro = 2.050.000.000.000 Euro.
Das entspricht rund 25.000 Euro pro Kopf.
Zurückgezahlt wird das sicherlich nie, denn Schulden sind auch etwas Gutes. Darauf werden Zinsen gezahlt und von den Zinsen leben diejenigen, die behaupten ihr Geld arbeite für sie. Von den Schulden leben auch diejenigen, die eine kapitalgedeckte Rentenversicherung oder eine Lebensversicherung abgeschlossen haben.

Die Schuldenuhr der USA steht gegenwärtig bei etwa 18,5 Billionen Dollar, also bei 57.000 Dollar pro Kopf und wächst um 34.000 Dollar pro Sekunde.
Das entspricht 17 Billionen Euro. 17.000 Milliarden = 17.000.000 Millionen = 17.000.000.000.000 Euro.

Griechenland hat rund 300 Milliarden Euro Schulden.
Das sind etwa 15% der Deutschen Schulden.
Das sind knapp 2% der amerikanischen Schulden.

Die Griechen werden diese vergleichsweise mickrigen 300 Milliarden vermutlich nie zurückzahlen können. Genauso wenig wie Deutschland oder Amerika ihre Schulden jemals loswerden.

Aber Griechenland soll jetzt endgültig ausgequetscht werden.
Klappen wird die im Kanzleramt ersonnene Eselei keinesfalls.

[….] Gebärden sich die Griechen bei den Verhandlungen mit ihren Gläubigern als rücksichtslose Zocker? Nein, im Gegenteil, sie argumentieren bewundernswert stringent: Ohne Schuldenschnitt kann es keine sinnvolle Einigung geben.
Aus deutscher Sicht gibt es zwei Lösungen der Griechenland-Krise. Entweder verlieren wir die ganzen 80 Milliarden Euro an Griechenland-Krediten. Oder wir verlieren nur einen Teil davon. Es ist die offizielle Position der Bundesregierung, dass sie unbedingt alles verlieren will. Es verbleiben jetzt nur wenige Wochen, in der wir die bislang größte deutsche Lebenslüge des 21. Jahrhunderts korrigieren können.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie tief diese Lebenslüge in der deutschen Gesellschaft verankert ist. Es wundert mich nicht, dass Angela Merkel in den Jahren 2010 und 2012 die Griechenland-Krise mit unrealistischen Auflagen unter den Teppich kehrte. Erstaunlicher ist, dass ihr heutiger Regierungspartner, die SPD, dem nichts entgegensetzte. Merkel hat sich mit dem Griechenland-Kredit verzockt, und keiner sagt etwas.
[….] Wenn Schulden nicht nachhaltig sind, dann kommt es immer und überall zum Schuldenschnitt. Genau dort stehen wir jetzt. Griechenland bewegt sich auf den unausweichlichen Bankrott zu. [….] Vizekanzler Sigmar Gabriel hat im Übrigen unrecht mit seiner Bemerkung, dass die griechischen Spieltheoretiker die Zukunft des Landes verzockt hätten. Ich glaube dem griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis seine Aussage, dass er, der Spieltheoretiker, schon recht früh zu dem Schluss gekommen sei, dass die Spieltheorie in diesen Verhandlungen nicht anwendbar sei. Die Griechen spielen mit offenen Karten. Das ist es ja gerade, was die Verhandlungspartner so irritiert. Die Griechen sagten im Februar: keinen Deal ohne Schuldenschnitt. Und sie sagen genau dasselbe auch jetzt noch. [….]

Wenn Deutschland bloß einen Finanzminister mit einem Funken Anstand und ökonomischen VERstand hätte.

Die DDR von damals ist das Griechenland von heute. Das Land ist wirtschaftlich am Ende. Doch statt alles daran zu setzen, unter "Solidarität zwischen ihren Völkern" die Vereinigung Europas zu forcieren, bereitet Schäubles Ministerium Pläne für den Grexit vor und stachelt andere EU-Partner an, das Gleiche zu tun. Der deutsche Finanzminister gefällt sich in der Rolle des Prinzipienreiters und Zuchtmeisters. Seine Botschaft: Griechenland muss liefern.
Ja was denn? Griechenland kann nicht liefern. Wenn Schäuble bei der Wiedervereinigung dieselben Maßstäbe angelegt hätte und von einem auf ganzer Linie insolventen Land Wirtschaftswachstum, Schuldenabbau und Reformen als Voraussetzung für den Einigungsvertrag verlangt hätte, wären wir heute noch nicht wiedervereint.
Was damals bei der deutschen Einheit ging (Kosten bislang knapp zwei Billionen Euro), soll heute bei der europäischen Einheit nicht gehen (Kosten ein Bruchteil davon, noch dazu getragen von der gesamten EU, nicht nur von Deutschland), weil Schrebergärtner Schäuble als größter Parzelleninhaber bestimmen will, dass der Rasen der kleineren Gärten genauso akkurat geschnitten ist wie sein eigener. Die EU ist aber keine Schrebergartenkolonie. Und Griechenland muss nicht gezüchtigt werden.
(Janko Tietz SPON 15.06.15)