Montag, 25. Dezember 2017

Miesepetersozis



Kassandra ist dafür berühmt, daß man ihr nicht glaubte.
Darin liegt die Tragik der Tochter des trojanischen Königs Priamos; ihr Weitblick nützte nichts, ihre Fähigkeit Katastrophen zu verhindern verpuffte.
Wenigstens war Kassandra zur Kompensation für ihre Unglaubwürdigkeit schön.
Das soll man nicht geringschätzen, wenn man schon als allgemeiner Unsympath gilt.

Als Sozi ist man in dieser Hinsicht doppelt geschlagen.
Nicht nur glaubt man uns nicht, sondern die Topfiguren Schulz, Nahles, Scholz und Gabriel sind auch noch häßlich.

Wir wissen das spätestens seit 1990, als unsere Jungs, insbesondere in Gestalt des Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine zwar alle Schwierigkeiten der deutschen Einheit präzise voraussagten, aber nicht gehört wurden.
Die Majorität des Urnenpöbel empfand es als grob unsympathisch mit der schnöden Realität konfrontiert zu werden.
Dann lieber den jovial-lockeren Kohl, der von „blühenden Landschaften“ und Kosten, die „aus der Portokasse“ zahlbar wären, fabulierte.

Lafontaine lernte aus dieser Erfahrung uns fegte mit dieser Erkenntnis 1995 in Mannheim auch den elend-öden Parteichef Scharping aus dem Amt.

[….] "Die Sekretärinnen, die Krankenpfleger, die Facharbeiter zahlen brav ihre Steuern, und die höheren Einkommen haben so viele Abschreibungsobjekte, dass Millionäre stolz sind, sich zu brüsten, dass sie keinen Pfennig Steuern zahlen - wie soll denn da das Vertrauen in unseren Staat noch gegeben sein?  Es gibt noch Politikentwürfe, für die wir uns begeistern können, und wenn wir selbst begeistert sind, können wie auch andere begeistern. In diesem Sinne: Glückauf!" [….]


Martin Schulz‘ jüngste Parteitagsrede am 07.12.2017 in Berlin war öde. Ein sichtlich um Deeskalation bemühter Parteichef, der unbedingt wiedergewählt werden wollte, sagte nichts wirklich falsches, tastete sich aber lediglich vorsichtig voran, weil er die Delegierten darauf einstimmen wollte genau das zu verabschieden, was er zwei Monate zuvor noch kategorisch ausgeschlossen hatte: Regieren unter Angela Merkel.

 [….] Schulz versucht sich hier an einem größeren Bogen. Statt mit der Tür ins Haus zu fallen, malt er ein düsteres Panorama der nationalen, europäischen, ach was, der globalen Herausforderungen. Da kann einem schon ein wenig anders werden, schließlich gilt es Schulz zufolge, grob zusammengefasst, den Klimawandel einzuhegen, Google und Facebook zu bändigen, Steuerflucht und Terroristen zu bekämpfen, sowie auch noch die Sache mit den Flüchtlingen zu lösen. Das alles aber könne man gar nicht mehr im Bundestag durchsetzen, dafür brauche man Europa, genauer: "Das soziale Europa, das demokratische Europa!" Schulz ruft: "Wir brauchen das sozialdemokratische Europa!"
Und wie schafft man das, ein sozialdemokratisches Europa? Doch wohl nur, indem die SPD mitregiert. Alles klar?
Die Welt ist schlecht, also werden wir gebraucht, so geht die Argumentation. [….]

Das ist das diametrale Gegenteil des Begeisterungs-Parteichefs von 1995. Hier kommt Jammer-Martin, der alles so scheiße findet und eigentlich auch keinen Bock mehr hat.

(.....)  "Ich strebe keine große Koalition an, ich strebe auch keine Minderheitsregierung an. Ich strebe auch keine Neuwahlen an. Was ich anstrebe: Dass wir die Wege diskutieren, die die besten sind, um das Leben der Menschen jeden Tag ein Stück besser zu machen."
(Martin Schulz, Juso-Kongress, 24.11.2017)

Inhaltslos daher faseln kann der SPD-Chef inzwischen schon fast so gut wie Angela Merkel.
Natürlich strebt kein Sozi irgendetwas an, bei dem am Ende die CDU den Kanzler stellt. So schlau sind schon Viertklässler.

Die Frage ist aber, ob man etwas, das man nicht anstrebt womöglich unter Umständen doch tun muss.
Von Schulz wüßte man gern, welche Umstände dies genau sein könnten, welche Bedingungen dann erfüllt sein müssen und was ihn eigentlich dazu brachte von seinem kategorischen „Nein zur Groko“ abzurücken. Wie erklärt man das dem Wahlvolk und wird dieser schwerwiegende taktische Fehler der SPD-Spitze personelle Konsequenzen haben?

Das Leben „der Menschen“ (allgemeiner geht es kaum noch) „besser“ zu machen, stammt vermutlich aus einem Glückskeks.
Ich bezweifele, daß irgendeiner in CSU, CDU, FDP, bei den Grünen und den Linken etwas anderes möchte. In keinem Parteiprogramm wird eine Verschlechterung des Lebens versprochen. (….)

Unglücklicherweise wird der alte und neue Parteichef rhetorisch auch noch zunehmend schlechter.

[….] Nach einer guten halben Stunde seiner Rede stellt sich erster leichter Kopfschmerz ein. Das liegt weniger an dem, was er sagt, sondern vor allem an der Tonlage. Früher, da konnte Schulz in seinen Reden modulieren, da sprach er mal laut und begeisternd, mal leise und nachdenklich - und vor allem immer wieder witzig, selbstironisch. Das ist komplett weg, nun ist alles ernst, laut und gepresst. […..]

Das ist kaum auszuhalten und so applaudiert man schon deswegen am Ende artig mit, um sicherzustellen, daß der Mann bitte nicht noch länger spricht.

Und die Partei? Wieso wählt sie mit 82% Mimimimi-Martin, den mäandernden Miesepeter?
Dafür gibt es zwei Gründe. Martin Schulz tut den Delegierten ob seiner Tollpatschigkeiten und des enormen Absturzes ganz furchtbar Leid und außerdem gibt es diesmal keinen Lafo, der wie Kai aus der Kiste springt.

[….] Um das zu verstehen, muss man sich kurz vorstellen, diese Rede hier hätte jemand anderes gehalten. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz zum Beispiel, der bei den Genossen so beliebt ist, wie Klassenstreber eben beliebt sind: Solange sie einen abschreiben lassen, geht's. Oder Andrea Nahles, die jetzt zwar an der Spitze der Bundestagsfraktion steht, für viele hier aber mutmaßlich immer die böse Linke bleiben wird, die einst den Parteivorsitzenden Franz Müntefering gestürzt hat - was man auch daran ablesen kann, dass Nahles zwar später in der Aussprache die klarere, bessere Rede hält als Schulz, dafür aber nur einen kurzen Höflichkeitsapplaus erhält. Oder Sigmar Gabriel: Sie alle hätten es hier deutlich schwerer als Schulz.
Weil er eben trotz allem noch der Martin ist, den sie ins Herz geschlossen haben und nicht einfach fallen lassen wollen, und weil sie dann ja auch zugeben müssten, sich damals, als sie ihn mit 100 Prozent wählten, womöglich geirrt zu haben. [….]

Den Job als Parteivorsitzender konnte Schulz retten.

Aber im Jammermodus wird die Partei in den Umfragen nicht reüssieren, auch wenn ihre Konzepte noch so viel besser sind als die der anderen Parteien.
Den Urnenpöbel interessieren Inhalte viel weniger als Parteistrategen sich das wünschen.
Niemand liest Parteiprogramme, der sich nur peripher für Politik interessiert.
Stimmungen, Sympathie und Bauchgefühl sind die neue harte politische Währung.

[…..] Partei der schlechten Laune
Sozialdemokraten lamentieren am liebsten darüber, was sie nicht erreicht haben. Es wäre höchste Zeit, dass man in der SPD nicht nur die Partei, sondern auch die Mentalität erneuert.
[…..] Viele Mitglieder treibt die Furcht um: Egal, was sie tun - sie werden das nächste Mal ja doch wieder nur abgestraft von den Wählern.
Diese Angst ist berechtigt; allerdings aus ganz anderen Gründen als denen, die auch auf dem Parteitag wieder allzu oft genannt werden. Indem Delegierte Gespräche mit der Union schon deshalb ablehnen, weil mit ihr "keine sozialdemokratische Bildungspolitik" zu machen sei, oder weil sie mutmaßen, dass auch am Ende der nächsten Groko die Großaktionärin von BMW weiterhin nur 25 Prozent Abgeltungsteuer zahlt, der Schichtarbeiter jedoch 37 Prozent Einkommensteuer - indem sie so argumentieren, bringen sie schon die Saat für das nächste Desaster aus.
Das Grundproblem der SPD besteht nicht darin, was sie tut, sondern wie sie es tut. Es ist das ewige Hadern mit sich selbst, die ewige schlechte Laune, die unzerstörbare Liebe zur reinen Lehre und der Irrglaube, es sei grundsätzlich erstrebenswerter, null Prozent in der Opposition zu erreichen als 70 Prozent in der Regierung. […..] Ludwig Stiegler, ihr früherer Fraktionschef im Bundestag, hat es auf den Punkt gebracht. Er fragte, wie eigentlich Wahlkampfhelfer und mögliche Wähler "den Hintern hochkriegen" sollen, wenn sie immer nur hören, was die Partei leider alles nicht erreicht habe. In der Tat, man wird mit der Union, zum Beispiel, keine sozialdemokratische Steuerpolitik machen können - umgekehrt wird man mit der SPD auch keine christsoziale Flüchtlingspolitik etablieren können. Wer jedoch in vier Jahren vor allem bejammern will, dass die BMW-Erbin immer noch keine Einkommensteuer zahlt, der sollte in der Tat an eine neue Koalition nicht einmal denken. […..]