Sonntag, 6. Mai 2018

Angela und Jorge

Papst Franziskus ist die Angela Merkel der Kurie.

Wie die alten konservativen Männer in der West-CDU jammern und maulen auch die konservativen Kurienkardinäle, weil der Posten, den sie eigentlich unter sich ausmachen wollten – also Kanzlerparteivorsitz, bzw Papst – auf einmal und ungeplant wegen einer internen Krise an einen Fremdkörper übergingen.
Hier die ostdeutsche Protestantin, die nicht mal zum Andenpakt gehört und dort der Südamerikaner, der keine Funktion in der Kurie hatte.

Beide fielen mit schlechten Angewohnheiten auf.

Helmut Kohl beklagte sich über Merkels miese Tischmanieren:

„Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen. Sie lungerte bei den Staatsessen herum, so dass ich sie mehrfach zur Ordnung rufen musste.“

Die Kurialen schauderte es bei Bergoglios derben schwarzen Tretern und seiner Missachtung all der Edelstein- und Gold-durchwirkten Hermelin- und Purpurfummel, die Ratzi so gern trug.

[….] Die traditionellen roten Schuhe der Päpste trug Benedikt [….]  bis zu seinem Rücktritt. Auch bei den Hochfesten der Kirche fehlte es nie an Seide, Gold und sonstigem Prunk auf Mitren und Messgewändern des ehemaligen Papstes. Dieser ganz bewusst zur Schau getragene Reichtum fällt in der Rückschau besonders deshalb auf, wenn man jetzt stets den eher spartanischen liturgischen Stil von Franziskus zu sehen bekommt.
[….] Bergoglio trat bei den bisherigen Feiern ganz in Weiß auf, als Kopfbedeckung während der Prozessionen wählte er seine einfache Kardinalsmitra. Die päpstliche Stola legte er nach dem Segen Urbi et Orbi rasch wieder ab. Am Palmsonntag streifte er einen einfachen, roten Parament-Mantel über. Das Pendant, das Benedikt vor einem Jahr trug, war goldbestickt, mit Kordeln und kostbaren Spangen zusammen gehalten. Manche interpretieren den sichtbaren Unterschied in Liturgie und Auftreten als deutliche Abgrenzung zum Vorgänger. [….]. 2007 hatte Benedikt die alte, lateinische Messe wieder eingeführt, die erste Messe als Papst noch in der Sixtinischen Kapelle feierte Benedikt mit dem Gesicht zu Michelangelos Fresko vom Jüngsten Gericht. Bergoglio hingegen stand an einem seit dem Konzil üblichen „Volksaltar“ und wendete sich den Kardinälen zu. Für traditionalistische Gesten ist der Argentinier nicht empfänglich, Diskurse dieser Art lassen Franziskus kalt.
Seine nähere Umgebung hingegen ist für eine traditionelle, prunkvolle Bildsprache mehr als offen und förderte sie in der Vergangenheit sogar. [….] Von innerem Unmut bis großer Überraschung reichen die Reaktionen derjenigen, die für die Außendarstellung des neuen Papstes zuständig sind. Vor allem der in der Kurie umstrittene päpstliche Zeremonienmeister Guido Marini, der den Stil der Ratzinger-Jahre mitprägte, muss schwer geschluckt haben, seit er plötzlich einem äußerst mönchischen und allem Pomp nicht mehr aufgeschlossenen Pontifex zur Seite stehen muss. Es ist bekannt, dass Marini viel für Spitzen und Goldbesatz übrig hat. [….] Auch als Papst kommt er in schwarzen, abgelaufenen Orthopädie-Schuhen daher und will noch eine ganze Weile im vatikanischen Gästehaus Santa Marta bleiben statt rasch in das ebenso offizielle wie isolierte appartamento im päpstlichen Palast umziehen. [….]

Wie konnte eine so wenig Glamouröse ganz ohne Stallgeruch an die Spitze gelangen?
Wie konnte so ein Luxus verachtender Jesuit ohne Kurien-Stallgeruch Papst werden?

In beiden Fällen durch eine extreme Krise.

1998/9 stürzte Kohl die CDU in eine massive Krise, er wurde seinen Posten los und es offenbarte sich so ein Abgrund aus kriminellen Machenschaften, daß keiner der eigentlich vorgesehenen Nachfolger zugreifen wollte. Zudem steckte man in einem Naziskandal, weil der damalige starke Mann der CDU zig Millionen Schmiergelder in schwarzen Kassen als „jüdische Vermächtnisse“ getarnt hatte. Eine Außenstehende mußte den Augiasstall ausmisten.

Im ersten Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts poppten immer mehr Pädophilie- und Missbrauchsskandale der RKK auf, in der Heimat Ratzis rappelte es 2010 so gewaltig, daß es zu Massenaustritten aus der RKK kam, zudem steckte man in einem Naziskandal, weil Ratzi die Holocaustleugner der FSSPX in die RKK integriert hatte. Nach 1000 Jahren trat erstmals ein Papst zurück und wollte den Augiasstall nicht mehr selbst ausmisten. Ein Außenstehender mußte ran.

Wieso ließen sich die mächtigen stramm Konservativen der Kurie/der westdeutschen CDU-Landesverbände die Führungsrolle aus der Hand nehmen?

Weil sie natürlich davon ausgingen die Machtmechanismen des Vatikans/des Konrad-Adenauer-Hauses viel besser zu beherrschen als der/die Neue.
Sollte Merkel/Franziskus doch in der ersten Reihe rumturnen. In Wahrheit würden die alten Seilschaften weiter die Fäden ziehen und die Fremdbestimmung nach kurzer Zeit wieder beenden.

In beiden Fällen ging auch das schief.
 Bergoglio ist nun fünf Jahre Papst und wird es auch bleiben, sofern er nicht zu krank wird.
Merkel ist fast 20 Jahre Vorsitzende der CDU.

Burke, Müller und Sarah, die Konservativen in der Kurie schimpfen und pöbeln aus ganzer Seele über den vermeidlichen Linksruck, der den Markenkern der Kirche zerstöre.
Bosbach, Spahn und Dobrindt, die Konservativen in der Union schimpfen und pöbeln aus ganzer Seele über den vermeidlichen Linksruck, der den Markenkern der CDU zerstöre.

Dabei sind es Bergoglio und Merkel, die mit ihrem oberflächlich etwas liberaleren Auftreten ihren alten angestaubten Laden überhaupt noch lebensfähig halten.
Sonst würden der Partei, der RKK insbesondere in den urbanen Gebieten noch schneller die Mitglieder weglaufen.

Das Kuriosum ist, daß das Publikum gar nicht merkt wie es getäuscht wird, weil Altkonservative so laut über den Verfall der Sitten, die Homoehe und die Ausrichtung auf Dunkelhäutige und Arme außerhalb Europas beklagen.

In Wahrheit ist Merkel genauso konservativ wie diejenigen, die ihren Linksruck beklagen:
Sie hat längst Europa in eine Festung verwandelt, die Grenzen hermetisch abgeschlossen, lässt mutwillig Tausende elend im Mittelmeer und in Libyschen Lagern verrecken, hat eine Obergrenze eingeführt, kuschelt mit den Scharfmachern wie Horst Seehofer, dem sie im Kabinett freie Hand lässt und entgegen ihrer Klimarhetorik alles dafür getan hat, daß Kohleindustrie und Abgasschleuder-SUV weiter unsanktioniert die Umwelt verpesten können. Sie spricht mal freundlich über Schwule, will sie aber nach wie vor unter keinen Umständen als Eheleute Kinder adoptieren sehen. Unter Merkel geht die soziale Spaltung radikal weiter, die Reichen werden reicher.

In Wahrheit ist Bergoglio genauso konservativ wie diejenigen, die ihren Linksruck beklagen:
Er denkt gar nicht daran Frauen zum Priestertum zuzulassen, spricht sich keineswegs für ein gemeinsames Abendmahl mit Protestanten aus. Er spricht mal freundlich über Schwule, will sie aber nach wie vor unter keinen Umständen in den Priesterseminaren haben. Bergoglio beklagt das Flüchtlingselend, kuschelt aber mit den Scharfmachern wie Horst Seehofer, den er schon ein halbes Dutzend Mal zu Privataudienzen empfing und denkt gar nicht daran die vatikanischen Milliardenschätze der Welthungerhilfe zu spenden.
Und natürlich tut er auch nichts gegen die Kinderfickerei seiner Priester, bestritt gar, daß es sowas in Chile überhaupt gäbe, erhob den Kinderfickerförderer Müller zum Kardinal und beförderte auch den seit Jahrzehnten des sexuellen Missbrauchs an Kindern beschuldigten Kardinal Pell zur Nr. Drei des Vatikans.

Merkel und Franz sehen auf den ersten Blick nicht ganz so verknöchert konservativ aus wie ihre Vorgänger.
Aber dennoch sind sie beide es.